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Das weiße Krokodil

Das weiße Krokodil

Titel: Das weiße Krokodil Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C. C. Bergius
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mißbilligend den Kopf, dachte im übrigen aber zufrieden: Meine Verpflegung für die nächste Zeit ist gesichert. Jetzt kommt es nur noch darauf an, die Geduld nicht zu verlieren.
    Und er verlor sie nicht, obwohl er einige Male empfindlich getroffen wurde. Er nahm es den Affen nicht übel, zog aber eine Parallele zu den Menschen, die sich ebenfalls manchmal sinnlos bombardieren. Allerdings mit dem Unterschied, daß es sich bei ihnen um wohlüberlegte Vernichtung und nicht um ein Affentheater handelt.
    Seine Geduld wurde auf eine harte Probe gestellt, da die Makaken sich erst zurückzogen, als die mit der Dämmerung einsetzende Nachtjagd der übrigen Urwaldbewohner sie zwang, ihre Aufmerksamkeit auf andere Dinge zu richten.
    Verständlich, daß das Ende des eigenartigen Kampfes den greisen Tie-tie nicht befriedigte. Er hätte den Affen gerne gezeigt, daß er in keinem Falle etwas gegen sie unternehmen, sich aber auch niemals von ihnen vertreiben lassen würde. Sie sollten es leid werden, ihn zu attackieren, und er freute sich insgeheim schon auf den nächsten Tag, an dem sie gewiß wieder erscheinen und ihm Gelegenheit geben würden, die Sinnlosigkeit ihres Unterfangens unter Beweis zu stellen.
    So gesehen kehrte er nicht unzufrieden zum Eingang der Pagode zurück, wo er die Hennen ›Tang‹ und ›Ting‹ vom Gebüsch losleinte und in den fast schon im Dunkeln liegenden Nebenraum des Tempels führte, in dem das Lager für ihn aufgeschlagen war.
    »Ihr müßt nun auch schlafen«, sagte er ihnen, nachdem er seine Sandalen ausgezogen und sich hingelegt hatte. »Und sollte euer Futter nicht so gut wie sonst gewesen sein, dann denkt daran, daß das bessere Korn immer auf dem Feld des Nachbarn wächst. Om mani padme hum! O Kleinod in der Lotosblume, Amen!«
     
     
    Tie-tie fand sich nicht sogleich zurecht, als er am nächsten Morgen aus abgrundtiefem Schlaf erwachte. Erst das heisere Gackern der in dem abgeschlossenen Raum vergeblich nach Nahrung suchenden Hühner setzte sein Erinnerungsvermögen wieder in Gang und ließ ihn erschrocken auffahren.
    »Allmächtiger!« entfuhr es ihm. »Ich habe ja ganz vergessen…« Ohne den Satz zu beenden, nahm er ›Tang‹ und ›Ting‹ unter die Arme und lief mit ihnen, sein übliches Stoßgebet murmelnd, durch den Tempel nach draußen, um ihnen so schnell wie möglich Wasser zu geben.
    »Es tut mir leid, daß ich gestern abend nicht daran gedacht habe«, keuchte er, während er die Stufen zum See hinuntereilte. »Wenn die Affen nicht gewesen wären… Noch heute werde ich oben einen Behälter aufstellen.«
    Am See angekommen, setzte er die Hennen auf eine Grasfläche, in welche er unmittelbar am Ufer eine kleine Vertiefung stampfte, die er anschließend mit Wasser füllte.
    ›Tang‹ und ›Ting‹ bedienten sich sogleich des köstlichen Nasses, und Tie-tie, der ihnen voller Zufriedenheit zuschaute, beobachtete das bedächtige Heben und Zurücklegen ihrer Köpfe so angelegentlich, daß er einen ungewöhnlich schnell und niedrig über den See hinwegstreichenden Vogel nicht bemerkte, der ihn gewiß alarmiert haben würde, wenn er ihn gesehen hätte. Denn Yen-sun hatte ihm mehrfach erklärt, unbedingt das Ufer zu meiden, wenn sich der schwarz-weiß gebänderte und außerordentlich tief fliegende Trochylus zeigen sollte. Glücklicherweise hatte ihm der junge Chinese aber nicht nur das Aussehen und Verhalten dieses Vogels beschrieben; er hatte auch dessen unverkennbaren Ruf nachgeahmt, und Tie-tie erschrak deshalb sehr, als er plötzlich das typische »Tschip-tschip-hooiiit« des vielfach als ›Krokodilwächter‹ bezeichneten Trochylus vernahm.
    Mit einer Geschwindigkeit, die jeden verblüfft haben würde, ergriff er die Hennen und rannte mit ihnen zur Steintreppe zurück, auf der er erst stehenblieb, als ihn etliche Stufen vom See trennten. Und dann sah er, daß er sich nicht getäuscht hatte: eine leichte Kiellinie hinter sich herziehend, schwamm das weiße Krokodil fast genau auf die Stelle zu, an der er den Hühnern eine Tränke bereitet hatte. Der Körper des Tieres war nicht zu sehen; erkennbar waren nur seine knapp aus dem Wasser herausragenden gelben Augen und die sich von ihnen zur Schnauze hinziehenden, perlschnurartig gegliederten Knochenleisten. Doch es dauerte nicht lange, bis das geschmeidig und gradlinig dahinschwimmende Ungeheuer das Ufer erreichte, wo es bedächtig den Kopf aus dem Wasser hob und eine Weile seine Umgebung musterte, bevor es langsam an Land kroch

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