Das weiße Krokodil
meine Fähre hat in der Zeit ebenfalls nicht stillgestanden. Die zurückgekehrten Briten mußten sich neu einrichten; die nach Norden verschleppte Bevölkerung wollte nach Süden, die vom Süden nach Norden. Und alle mußten zahlen! Zahlen, zahlen, zahlen!«
Dem greisen Tie-tie stockte das Blut in den Adern. »Und du schämst dich nicht, aus der Not deiner Mitmenschen ein Geschäft gemacht zu haben?«
Yen-sun lachte hellauf. »Hätte ich sie etwa umsonst befördern sollen? Ausgerechnet zu einem Zeitpunkt, da fast alle Brücken zerstört waren?«
»Ich kenne dich nicht wieder«, entgegnete Tie-tie bestürzt.
Yen-sun machte eine wegwerfende Bewegung. »Das ist mir gleichgültig. Ich habe jahrelang geschuftet und es zu nichts gebracht, und ich wäre schön blöd gewesen, wenn ich die Chance nicht genutzt hätte, die sich mir bot. Ist es nicht so?« wandte er sich an seine Kameraden.
Sie nickten.
»Und habt ihr dabei nicht ebenfalls ein gutes Geschäft gemacht?«
»Gewiß.«
»Und die Besatzungen der anderen Kutter?«
»Die natürlich auch.«
»Na also!« sagte Yen-sun in einem Tonfall, der deutlich machte, daß er das Thema als beendet betrachtete.
Tie-tie war dies recht, wenngleich ihn die kargen Antworten der Chinesen hellhörig gemacht hatten. Ihr Verhältnis zu Yen-sun schien sich grundlegend gewandelt zu haben. Doch so gerne er hierüber Klarheit gewonnen hätte, er wollte sich keine Blöße geben und fragte Yen-sun, wie es seiner Frau und seinen Kindern ergehe.
»Denen geht es ausgezeichnet«, antwortete Yen-sun großspurig. »Ich soll auch Grüße von ihnen ausrichten. Besonders von den Kindern, die furchtbar geheult haben, weil sie nicht mitkommen durften.«
»Und weshalb hast du sie nicht mitgenommen?« erkundigte Tie-tie sich enttäuscht.
»Sim war dagegen.«
»Aber warum denn?«
»Du kennst sie doch: ihre Angst ist grenzenlos. Außerdem wird sie in letzter Zeit immer komischer. Anstatt sich über die günstige Entwicklung zu freuen, macht sie ein Gesicht wie beim Monsunregen. Zugegeben, die letzten Monate waren auch für sie sehr anstrengend, da ich ihr den ganzen Fährbetrieb überlassen mußte. Aber das Wesentlichste ist nun ja geschafft, und sie sollte froh darüber sein, daß ich unsere Einnahmen jetzt nutzbringend anlege.«
Tie-tie betrachtete ihn prüfend. »Wie machst du das?«
»Ich habe mir zwei Kutter gekauft, die ich günstig erstehen konnte, weil deren Motoren nichts taugten. Sim war entsetzt, als sie das hörte, ich aber war schlauer und beschaffte mir von der Sammelstelle für zurückgelassenes Heeresgut zwei erstklassige Dieselmaschinen, die im Moment eingebaut werden. Und dann geht es los. Der Fischfang wird in Zukunft mit drei Booten betrieben! Dementsprechend lasse ich den Trockenplatz auch schon erweitern. Und ebenfalls das Haus. Der Balkon wird zu einer Veranda verbreitert, die rundherum Glasfenster erhält. Und hinten lasse ich ein neues Zimmer für ein junges Mädchen anbauen, das ich als Gehilfin eingestellt habe.«
»Ihr habt eine Gehilfin?« fragte Tie-tie erstaunt.
»Sogar eine sehr nette.«
Tie-tie entging es nicht, daß Yen-suns Kameraden über die Antwort grinsten. Allmächtiger, dachte er bestürzt. Ich fange an zu begreifen, warum sich die liebenswerte Sim über den finanziellen Aufstieg ihres Mannes nicht freuen kann. Ausgerechnet sie, die mir eine Katastrophe voraussagte, wenn ich mich in die Nähe des weißen Krokodils begeben würde, scheint einer menschlichen Katastrophe entgegenzugehen. Und ihr vom Geld geblendeter Mann erklärt wie nebenbei: ›Außerdem wird sie in letzter Zeit immer komischer!‹
Am liebsten hätte er sich umgewandt und kein weiteres Wort mehr verloren. Er beherrschte sich jedoch, weil er sich sagte: Ich muß mit Yen-sun reden und den Versuch machen, ihn zur Vernunft zu bringen. Das Geld ist ihm in den Kopf gestiegen und läßt ihn vergessen, daß man schneller von einem guten Leben in ein schlechtes geraten kann, als umgekehrt.
»Habt ihr etwas Zeit oder dulden eure Geschäfte keinen längeren Aufenthalt?« fragte er im Bestreben, die unwillkürlich eingetretene Pause zu überbrücken.
Yen-sun gab seiner Stimme einen warmen Klang. »Glaubst du, wir wären nur gekommen, um festzustellen, ob du noch lebst? Nein, wir haben allerhand leckere Sachen für dich an Bord und mußten Sim hoch und heilig versprechen, hier die Wege in Ordnung zu bringen.«
»Dafür bin ich ihr sehr dankbar«, erwiderte Tie-tie gerührt. »Aber schaut euch
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