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Das weiße Krokodil

Das weiße Krokodil

Titel: Das weiße Krokodil Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C. C. Bergius
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ihr?« unterbrach ihn Tie-tie hastig.
    »Na, weshalb schon? Sie redet genau wie du!«
    »Gibt dir das nicht zu denken?«
    Yen-sun zuckte die Achseln. »Ich kann doch nicht den Verdienst von Monaten zum Fenster hinauswerfen.«
    »Das verlangt doch niemand.«
    »Sim wäre das am liebsten.«
    »Das kann ich nicht glauben.«
    »Es ist aber so! Und warum? Nur weil es ihr nicht paßt, daß ich mir nun allerhand leisten kann und vielfach unterwegs bin.«
    »Und es gibt keinen anderen Grund?«
    »Du meinst die Gehilfin?«
    Tie-tie nickte.
    »Da kannst du ganz beruhigt sein. Ich finde das Mädchen nett; das ist alles.«
    »Wirklich?«
    »Ja, in drei Teufels Namen! Und wenn Sim sich darüber aufregt, dann ist sie eine Närrin.«
    Dem greisen Tie-tie fiel ein Stein vom Herzen. Er bemühte sich, dem Gespräch eine andere Richtung zu geben, obgleich er gerne noch etwas über Sim und deren Kinder gehört hätte. Im Augenblick hielt er es jedoch für richtiger, Yen-sun abzulenken. Und das tat er mit einer Beflissenheit, die erkennen ließ, wie peinlich es ihm war, daß er den jungen Chinesen zu Unrecht verdächtigt hatte. In aller Ausführlichkeit schilderte er ihm den Verlauf der vergangenen Monate, und Yen-sun kam aus dem Lachen nicht heraus, als er die angeleinten Hühner erblickte und von den Attacken der Affen und dem siegreichen Ausgang des ›Kampfes‹ mit ihnen hörte. Als er aber erfuhr, auf welche Weise es Tie-tie gelungen war, das Vertrauen des weißen Krokodils zu erringen, da wurde er sehr nachdenklich.
    »Das hätte ich niemals für möglich gehalten«, sagte er. »Wenn ich dich nicht in der Nähe des Biestes gesehen hätte, würde ich dich für einen üblen Aufschneider halten. Denn was du getan hast, das hat noch kein Dompteur fertiggebracht.«
    »Unsinn!« wehrte Tie-tie ab. »Dompteure dressieren ihre Tiere, was ich beim weißen Krokodil weder versucht noch getan habe. Es hat sich lediglich an meine Anwesenheit gewöhnt.«
    »Nenn es, wie du willst«, entgegnete Yen-sun. »Deine Leistung würde dich in einer Stadt zur Attraktion des Tages machen.«
    Tie-ties winzige Augen glänzten. »Dann will ich besonders dankbar dafür sein, daß ich nicht in einer Stadt, sondern in der Einsamkeit lebe.«
    Yen-sun überhörte die Bemerkung und blickte nachdenklich über den See. »Wenn ich mir vorstelle, wieviel Geld man damit verdienen könnte…!«
    »Womit?«
    »Mit dir und dem weißen Krokodil!«
    Tie-tie sah ihn entgeistert an. »Soll das ein Witz sein?«
    »Nicht im geringsten. Überlege selbst. Wenn du mit dem weißen Krokodil nach Penang gehen könntest…«
    »…was glücklicherweise nicht möglich ist…«
    »… dann würden Tausende von Menschen kommen…«
    »…und alle würden zahlen! Zahlen, zahlen, zahlen!«
    Yen-sun lachte. »Da habe ich mir ja eine schöne Blöße gegeben.«
    »Wenn du das nur einsiehst. Aber kannst du denn nur noch an Geld denken?«
    »Ich habe es eben bestimmt nicht gewollt. Der Gedanke war einfach plötzlich da.«
    Tie-tie legte ihm die Hand auf den Rücken. »Beherzige, was ich dir vorhin sagte. Du wirst sonst wie dein Landsmann, der diese Pagode letztlich nur baute, weil er am Leben vorbeigegangen ist und sich darüber grämte, sein Vermögen nicht mit ins Grab nehmen zu können.«
    Am Fuß der Steintreppe stehend blickte Tie-tie hinter Yen-sun und dessen Kameraden her, als diese gegen Mittag wieder davonruderten. Seine sonst lebhaften Augen waren glanzlos, sein faltenreiches Gesicht hatte den Ausdruck einer traurigen Maske angenommen, und seine Haltung glich der eines gebrochenen Mannes. Wie erschöpft ließ er sich auf eine Stufe sinken, als das Boot in den zum Muda führenden Klong einbog. Dabei war er im Guten mit Yen-sun auseinandergegangen. Dessen letzte Worte durften ihn hoffen lassen, daß all das, was er ihm gesagt hatte, auf fruchtbaren Boden gefallen war.
    Dennoch war er voller Unruhe. Deutlich war zu spüren gewesen, daß Yen-sun sein Gleichgewicht verloren hatte. Für Tie-tie war der Mensch ein Wesen der Mitte und ein vermittelndes Wesen; er empfand deshalb den Verlust der inneren Harmonie als einen furchtbaren Mangel.
    Yen-sun hat einen Weg eingeschlagen, der keine Ehrfurcht kennt, dachte er gequält. Sie aber ist des Himmels durchgehender Faden und des Menschen Tugend.
    Wenn ich nur wüßte, wie ich ihm helfen könnte, überlegte er gerade, als er gewahrte, daß sich das weiße Krokodil nur fünf Meter von ihm entfernt aus dem Wasser heraushob und an das Ufer kroch.

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