Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das weiße Krokodil

Das weiße Krokodil

Titel: Das weiße Krokodil Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C. C. Bergius
Vom Netzwerk:
minder kopflos das Weite suchte.
    Für Abwechslung war also reichlich gesorgt, und über Langeweile konnte Tie-tie sich nicht beklagen. Irgend etwas beschäftigte ihn immer, und wenn es nichts zu tun gab, setzte er sich auf die oberste Stufe der Steintreppe, um dem zarten Klang der Windglöckchen zu lauschen und den herrlichen Ausblick über den See zu genießen, der sich täglich in anderen Farben darbot.
    Angesichts des schönen Lebens, das er nun führte, befürchtete er oftmals, dermaleinst nicht in das Nirwana zu gelangen, sondern zu neuer Bewährung auf die Erde zurückkehren zu müssen. Er tröstete sich dann, indem er sich sagte: Wer weiß, was alles noch kommen mag. Womöglich erlebe ich zur Zeit nur die Ruhe vor einem Sturm, der mir die große Prüfung bringen soll.
    Oft wanderten seine Gedanken zu Yen-sun und dessen Familie. Er fand keine Erklärung dafür, daß sich der junge Chinese trotz der Zusage, ihn jeden Monat einmal aufzusuchen, noch nie hatte sehen lassen. Die Vorstellung, Yen-sun könnte etwas zugestoßen sein, beunruhigte ihn, und er war daher überglücklich, als nach Ablauf von beinahe fünf Monaten plötzlich Rufe über den See schallten und er Yen-suns Boot mit schnellen Ruderschlägen der Anlegestelle entgegenstreben sah.
    Aber dann entstand eine ziemliche Verwirrung unter den auf ihn zurudernden Männern. Sie entdeckten das erschrocken flüchtende Krokodil und waren entsetzt darüber, daß sich der greise Tie-tie nur wenige Meter von der Stelle befand, an der das Raubtier gelegen hatte.
    »Hast du den Verstand verloren?« rief Yen-sun aufgebracht, noch bevor das Boot an der Steintreppe anlegte.
    Tie-tie gab sich belustigt. »Wie kommst du darauf?«
    »Das fragst du noch? Meinst du, wir hätten nicht gesehen, daß du dich in die Nähe des schlafenden Krokodils gewagt hast!«
    »Das stimmt nicht ganz«, antwortete Tie-tie hintergründig. »Es hat nämlich nicht geschlafen, sondern sich angehört, was ich ihm erzählte. Das Recht, böse zu sein, hat also allenfalls das weiße Krokodil, das ihr mit euren Rufen gestört und um das Ende einer netten Geschichte gebracht habt.«
    Yen-sun wandte sich kopfschüttelnd an seine Kameraden: »Er scheint verrückt geworden zu sein.«
    »Das soll mich nicht hindern, euch willkommen zu heißen«, entgegnete Tie-tie gut gelaunt. »Und das um so mehr, als wir uns fast ein halbes Jahr nicht gesehen haben.«
    Yen-sun stieg aus dem Boot und reichte Tie-tie die Hand. »Ich hoffe, du bist mir deshalb nicht böse.«
    »Mit welchem Recht?«
    »Ich hatte dir versprochen, dich mindestens jeden Monat einmal aufzusuchen.«
    »Gewiß«, erwiderte Tie-tie. »Und ich habe mir auch große Sorge gemacht, weil ich nicht wußte…«
    »Ich wäre bestimmt eher gekommen, wenn ich es hätte einrichten können«, unterbrach ihn Yen-sun. »Es ging aber beim besten Willen nicht. Frag meine Kameraden. Wir waren Tag und Nacht beschäftigt und haben manchmal nicht die Zeit zum Schlafen gefunden.«
    Tie-tie blickte verwundert von einem zum anderen. »Was ist denn geschehen?«
    Yen-sun klopfte ihm auf die Schulter. »Du wirst staunen, wenn du hörst, was sich inzwischen ereignet hat. Der Krieg ist beendet!«
    »Om mani padme hum!« rief Tie-tie und faltete ergriffen die Hände.
    »Und weißt du, wer ihn gewonnen hat? Die Alliierten! Alle Japaner wurden gefangengenommen und in Sammellager gesteckt. Ich sage dir, das war ein Geschäft!«
    »Wieso ein Geschäft?«
    Yen-sun setzte eine wichtigtuerische Miene auf und zog eine englische Zigarettenpackung aus der Tasche, die er, nachdem er sich bedient hatte, mit lässiger Geste an seine Kameraden weiterreichte. »Das ist schnell erklärt. Zunächst einmal hatten die verdammten Japsen nichts zu fressen; da brauchte man nur an ihren Stacheldrahtzaun heranzutreten und erhielt für eine Handvoll Reis einen Singapore-Dollar. Aber das war nur der Anfang! Die Kerle mußten nach Japan und somit zunächst in unsere Häfen geschafft werden. Überall wurden Transportmittel benötigt, aber die fehlten. Die Bahnlinien waren zerstört, und die vorhandenen Lastwagen reichten bei weitem nicht aus. Da kam mir ein großartiger Gedanke: ich charterte fünf Fischkutter, bot den Alliierten meine Dienste an und brachte Tausende von Gefangenen nach Penang! Selbstverständlich gegen ›cash down on the table‹!«
    »Was heißt das?« fragte Tie-tie verwirrt.
    Yen-sun warf sich in die Brust. »Gegen Barzahlung! Ich kann dir sagen: ich habe mich gesundgestoßen! Und

Weitere Kostenlose Bücher