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Das weiße Krokodil

Das weiße Krokodil

Titel: Das weiße Krokodil Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C. C. Bergius
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lauschte, um die Richtung zu ermitteln, aus der das hilfeheischende Signal zu ihr herüberdrang. Dann eilte sie weiter, bis sie eine kleine Mulde erreichte, in der eine ungewöhnlich große, aber offensichtlich sehr geschwächte männliche Ameise lag, deren Anblick ihr einen mächtigen Schreck einjagte.
    Es war jedoch nicht die Schwäche, sondern das absonderliche Aussehen des Tieres, das Xenia erstarren ließ; denn es war dicht beharrt, und seine säbelförmigen Vorderkiefer zeigten deutlich, welche Aufgabe sie zu erfüllen hatten. Freßwerkzeuge waren es jedenfalls nicht, und der kriegerische Charakter seines Volksstammes war durch sie erwiesen.
    Aber wie abstoßend das Äußere der mit furchtbaren Kampfwaffen ausgerüsteten Ameise auch sein mochte, sie befand sich in Not, und Xenia kroch deshalb näher an sie heran, um festzustellen, was ihr fehle.
    Das kranke Tier, das ihr erwartungsvoll entgegenblickte, hob seinen Vorderkörper, und als Xenia unmittelbar neben ihm war, streckte es seine langen Fühler aus und beklopfte ihren Kopf mit leichten Schlägen, um auf diese Weise verständlich zu machen, daß es Hunger habe und um Nahrung bitte.
    Nun hatte die kleine Xenia ihren Kropf an diesem Morgen ja prall mit Honig gefüllt, und sie beeilte sich, dem Fremdling beizustehen. Wie groß aber war ihr Erstaunen, als ihr dieser nach Entleerung ihres Kropfes bedeutete, daß er seine Kiefer nicht benutzen könne und sie ihn füttern müsse, wenn sie ihn retten wolle.
    Das wollte sie natürlich, und sie erfüllte seinen Wunsch, obgleich ihr nicht ganz wohl dabei zumute war und sie auch nicht verstehen konnte, weshalb sich die fremde Ameise außerstande sah, ihre gewaltigen und zweifelsohne unverletzten Vorderkiefer zu gebrauchen. Im gegenwärtigen Zeitpunkt mochte sie jedoch keine Frage stellen, und so tat sie geduldig ihre Pflicht, bis das geschwächte Tier ihr durch zirpende Geräusche anzeigte, daß es satt sei und sich schon wieder wesentlich wohler fühle. Das schien unserer hilfsbereiten Xenia der rechte Augenblick zur Einleitung einer Unterhaltung zu sein, die, in die menschliche Sprache übertragen, etwa wie folgt verlief:
    ›Wer bist du eigentlich?‹
    ›Eine Amazonenameise.‹
    ›Und woher kommst du?‹
    ›Aus Südamerika.‹
    ›Wo liegt das?‹
    ›Weit von hier entfernt hinter einem großen Meer auf der anderen Seite der Erde.‹
    ›Und wie bist du hierhergekommen?‹
    ›Mit einem Schiff, das viele Säcke in dieses Land brachte. Wir hatten sie in einem Lager entdeckt und waren hineingekrochen.‹
    ›Wer sind: wir?‹
    ›Ich und meine Sklavinnen.‹
    ›Du hast Sklavinnen?‹
    ›Gehabt.‹
    ›Wo sind sie jetzt?‹
    ›Tot. Deshalb konnte ich mich auch nicht mehr ernähren. Wenn du nicht gekommen wärest, hätte ich jetzt ebenfalls sterben müssen.‹
    ›Das verstehe ich nicht. Wieso konntest du dich nach dem Tod deiner Sklavinnen nicht mehr ernähren?‹
    ›Weil ich eine Amazonenameise bin. Wir sind ein kriegerischer Stamm. Man sagt von uns, daß wir die tüchtigsten Sklavenjäger seien, die es gibt. Schau dir nur meine Vorderkiefer an: mit ihnen bin ich schon in manches Ameisennest eingebrochen. Selbstverständlich nicht allein; immer mit meinen Kameraden.‹
    ›Das finde ich aber furchtbar.‹
    ›Wieso? Wir müssen es doch tun. Unsere Kiefer sind keine Freß-, sondern Kampf Werkzeuge. Wenn wir leben wollen, bleibt uns nichts anderes übrig, als fremde Puppen zu rauben und die daraus entschlüpfenden Ameisen so zu erziehen, daß sie uns füttern. Wir können uns eben nicht selbst ernähren.‹
    ›Wie schrecklich.‹
    ›Unsinn! Wenn du wüßtest, wie aufregend ein Überfall sein kann und wie schön es ist, sich hinterher füttern zu lassen, dann würdest du anderer Meinung sein.‹
    ›Und wie soll es nun weitergehen?‹
    ›Du meinst, mit mir?‹
    ›Ja.‹
    ›Ganz einfach: du wirst bei mir bleiben!‹
    ›Als deine Sklavin?‹
    ›Natürlich!‹
    ›Und wenn ich das nicht will?‹
    ›Du willst!‹
    Xenia war außer sich. Sie spürte aber, daß die überhebliche Amazonenameise recht hatte. Sie sehnte sich nach einer Aufgabe, und diese bot sich ihr plötzlich in der schönsten Form. Aber durfte sie einem kriegslüsternen Gesellen helfen, der zum Dank dafür womöglich eines Tages ihr eigenes Volk überfiel? War es nicht besser, ihn einfach verhungern zu lassen? Die Vorstellung erschreckte sie so sehr, daß sie sich entschloß, offen mit dem Fremdling zu reden.
    Sie bedeutete ihm, daß sie nicht

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