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Das weiße Krokodil

Das weiße Krokodil

Titel: Das weiße Krokodil Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C. C. Bergius
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verloren Geglaubte ist noch nicht verloren. Er gehört nur einer neuen Generation an, die sich durch die Gegebenheiten ihrer Zeit immer mehr vom Althergebrachten entfernt und deshalb nicht in jedem Falle von alten Menschen verstanden werden kann. Sein guter Kern ist aber zutage getreten, und es bewahrheitet sich, daß man wohl Himmel und Erde zu messen vermag, nicht jedoch das menschliche Herz.
    »Hör zu«, wandte er sich erleichtert an sein Sorgenkind. »Der Allmächtige hat mir soeben einen Schleier von den Augen genommen und mir zugeflüstert: Wer andere benachteiligt, den trifft Unheil. Tue also, was du für richtig hältst. Ich werde dir nicht im Wege stehen, sondern deine Gäste freudig willkommen heißen. Eine kleine Buße muß ich dir jedoch auferlegen!«
    »Ich akzeptiere jede!« rief Yen-sun überschwenglich.
    Tie-tie drohte mit dem Finger. »Sei vorsichtig! Meine Buße betrifft deinen Geldbeutel!«
    Yen-sun blickte verwundert auf. »Willst du womöglich mein Kompagnon werden?«
    Tie-tie hob abwehrend die Hände. »Dann müßte ich ja ein Risiko eingehen. Nein, mein Lieber, darauf bin ich nicht erpicht. Ich möchte vielmehr auf die von dir vorgeschlagenen Einnahmen aus dem Opferstock verzichten, da ich kleine Münzen schlecht nach Lhasa schicken kann. Verwendet das Geld also für Ausbesserungsarbeiten an der Pagode.«
    »Damit bin ich einverstanden«, erwiderte Yen-sun belustigt.
    »Und den dadurch für mich entstehenden Ausfall bitte ich durch Zahlung von dreißig Dollar pro Fahrt auszugleichen«, fuhr Tie-tie gelassen fort.
    Yen-suns Gesicht wurde zur Maske. »Wir sollen dir…? Dreißig Dollar für jede Fahrt?«
    »Das sind zehn Prozent von eurem Verdienst. Du siehst, daß ich gut aufgepaßt habe.«
    Yen-sun schnappte hörbar nach Luft. »Ich glaube, du bist nicht gescheit. Wie kommen wir dazu…«
    »…andere mitverdienen zu lassen, sagtest du vorhin.«
    »Das war nicht auf dich bezogen! Ich weiß doch, daß du gelobt hast, niemals etwas dein eigen zu nennen.«
    »Und du meinst, daß ich deshalb…«
    »Ich meine überhaupt nichts!« unterbrach ihn Yen-sun. »Aber ich möchte wissen, wie sich dein Gelübde mit deiner Forderung vereinbaren läßt.«
    Tie-tie lächelte hintergründig. »Ausgezeichnet. Denn das Geld soll nach Lhasa geschickt werden. Natürlich nicht jedesmal, sondern immer erst dann, wenn ein größerer Betrag beisammen ist. Bis dahin kann es bei euch liegenbleiben.«
    »Das hört sich schon besser an«, erwiderte Yen-sun einlenkend. »Wir sind nämlich im Moment etwas knapp bei Kasse. Aber auf der von dir vorgeschlagenen Basis können wir uns einigen. Du mußt mir nur gelegentlich die genaue Anschrift des Empfängers geben.«
    »Die wirst du noch heute erhalten«, antwortete Tie-tie freudestrahlend, doch im nächsten Moment wurde sein Gesicht aschgrau.
    Yen-sun, der die Veränderung nicht bemerkte, klopfte ihm auf die Schulter. »Weißt du eigentlich, daß du ein verdammt guter Mensch bist?«
    Tie-tie blickte zu Boden. »Im Grunde genommen sind alle Menschen gut. Einige unterliegen nur ihren Schwächen, und wenn es ihnen schlecht geht, dann kämpfen sie wie Helden, die ihre Waffen verloren haben. Und dann…«
    »Hast du gehört?« unterbrach ihn Yen-sun. »Das war der Trochylus! Kommt schnell herauf!« rief er seinen Kameraden zu, die weiter unten auf der Steintreppe saßen. »Das weiße Krokodil muß in der Nähe sein.«
    »Wo ist es?« schrien die Kinder von oben.
    »Bleibt sitzen!« rief Tie-tie. »Ich komme und zeige es euch!«
    Es dauerte nur wenige Minuten, bis der sehnlichste Wunsch der beiden Kleinen in Erfüllung ging. Ihre Herzen klopften, und ihre Augen strahlten, als das mächtige Raubtier langsam an das Ufer kroch, dort eine Zeitlang mit erhobenem Kopf witterte und sich schließlich schwerfällig auf den Bauch fallen ließ. Dann öffnete es seine riesige Schnauze und glotzte nach oben.
    »Ich werde jetzt zu ihm hinuntergehen und ihm eine Geschichte erzählen, damit ihr es recht lange beobachten könnt«, sagte Tie-tie leise zu den Kindern. »Ihr dürft euch aber nicht bewegen, sonst schwimmt es davon.«
    »Hast du nicht Angst, daß es dich beißt?« flüsterte das Mädchen.
    Er schüttelte den Kopf. »Es kennt mich ja und tut mir nichts.«
    »Und wann kommst du wieder?«
    »Wenn es eingeschlafen ist.«
    »Erzählst du uns dann auch eine Geschichte?«
    »Ja! Aber nun müßt ihr schön still sein.«
    Über eine Viertelstunde hielt Tie-tie sich in der Nähe des weißen

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