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Das weiße Mädchen

Das weiße Mädchen

Titel: Das weiße Mädchen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: dtv
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wird erst am frühen Abend zurück sein.«
    »Oh, das macht nichts.« Lea lächelte freundlich. »Viel leicht können ja auch Sie mir weiterhelfen.«
    Frau Heimbergers himmelblaue Augen hinter der Brille weiteten sich erschrocken.
    »Das glaube ich nicht«, sagte sie und zog sich, wie zur Bekräftigung der Worte, ein Stück weiter hinter die Tür zurück.
    »Es geht um die Herforths – die Familie des Mädchens, das vor Jahren hier verschwunden ist«, sagte Lea.
    Die Angesprochene nickte, immer noch mit ängstlichemGesichtsausdruck. Offenbar fand sie nicht den Mut, sich der Situation zu entziehen, indem sie einfach die Tür zuschlug.
    »Ich habe festgestellt, dass die Herforths keinen guten Ruf im Ort genossen haben. Können Sie mir sagen, woran das liegt?«
    »Sie sollten vielleicht lieber mit meinem Mann sprechen«, sagte Frau Heimberger, in deren Gesichtsaudruck inzwischen Panik lag. »Gegen sieben müsste er zurück sein.«
    »Kannten Sie die Herforths persönlich?«, fragte Lea und überging die Ausflucht.
    Frau Heimberger errötete tief. »Ich muss Sie bitten, später wiederzukommen.«
    Es sollte vermutlich resolut klingen, doch ihre helle Stimme flatterte wie die eines schuldbewussten Kindes. Bevor Lea weiterfragen konnte, schloss die Frau die Tür – behutsam, als fürchtete sie das brutale Geräusch des einschnappenden Schlosses.
    Mein Gott, was für ein verschüchtertes Wesen
, dachte Lea erstaunt.
Entweder ist der Herr Ortsvorsteher ein regelrechter Haustyrann, oder sie hat etwas zu verbergen. Womöglich beides.
     
    Einstweilen brach Lea ihre Erkundung ab, denn es war bereits früher Nachmittag, und ihr Magen verlangte den gewohnten Mittagsimbiss. So kehrte sie in ihre Ferienwohnung zurück, holte einen Joghurt und eine Banane aus dem Kühlschrank und ließ sich am Wohnzimmertisch nieder, um zu rekapitulieren, was sie in Erfahrung gebracht hatte. Beim Essen konnte sie stets am besten denken, und manchmal hatte sie dabei Eingebungen, die zur Lösung eines Rätsels beitrugen.
    Eines zumindest war bereits deutlich geworden: DieHerforths waren alles andere als beliebt gewesen. Manche Dorfbewohner scheuten sich, über sie zu sprechen, manche der Alteingesessenen hassten sie geradezu – insbesondere ein verarmter und offensichtlich alkoholkranker Bauer. Hatten die Herforths auf irgendeine Weise dazu beigetragen, Gätners Landwirtschaft zu ruinieren?
    Nein,
antwortete Leas sichere Intuition.
Gätner sagte, alles sei besser geworden, nachdem die Herforths fort gewesen seien – damit hat er sicher nicht seinen Hof gemeint, denn der sieht aus, als stünde er kurz vor der Insolvenz. Und warum errötet die Ehefrau des Ortsvorstehers bei der Frage, ob sie die Herforths gekannt hat?
    Lea stellte ihren halb ausgelöffelten Joghurt beiseite, zog den Laptop heran und rief das Internet auf.
    Martin Herforth
, tippte sie in die Suchmaske.
Kunstmaler.
    Ein einziges Suchergebnis wurde angezeigt: Ein Bericht über eine »Künstlerkate« in Dannenberg, wo offensichtlich seit Jahrzehnten Workshops für Maler stattfanden. Schirmherrin war eine begüterte Kunstsammlerin, die Stipendien für den Workshop ausschrieb. Die Teilnehmer wurden jeweils vier Wochen lang in dem Landhaus einquartiert, erhielten eine Verpflegungspauschale und durften nach Ablauf der Zeit die dort entstandenen Werke in einer Ausstellung präsentieren.
    Lea suchte lange, bis sie auf eine Bildergalerie stieß, die die Geschichte der »Künstlerkate« bis in die achtziger Jahre zurück dokumentierte. Für jeden Jahrgang fand sich ein Gruppenfoto der Teilnehmer vor der Kulisse desselben malerischen Gartens mit hohen Eschen und einem Seerosenteich, versammelt vor einer Staffelei im Vordergrund. Lea entdeckte Martin Herforths Namen in der Bildunterschrift des ältesten der Fotos aus dem Gründungsjahrgang 1982.   Er stand ganz rechts und etwas abseitsvon den übrigen: ein Mann Ende dreißig mit ebenmäßigen Gesichtszügen, braunem Lockenhaar und dem anziehend naiven Lächeln eines Schuljungen.
    Ein schöner Mann,
dachte Lea.
Sicher erfolgreicher bei Frauen als in seinem Gewerbe.
    Letzteres war offensichtlich: Kein einziges Werk des Malers fand Erwähnung in irgendeiner Kunstzeitschrift, nicht einmal eine Fußnote zur Person tauchte in den Weiten des Internets auf. Als Maler hatte Martin Herforth nicht einmal den mäßigen Bekanntheitsgrad jener lokalen Heimatkünstler erreicht, über die Lea gelegentlich im Lüneburger Raum berichtete.
    Seine Ehefrau war

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