Das Weltgeheimnis (German Edition)
In seiner kurzen Mitteilung hat der Italiener seinem Vordenker lediglich das joviale Zugeständnis gemacht, »richtig philosophiert« zu haben, während er selbst Erfahrungstatsachen als Beweise vorlegen kann. Der »König« der Wissenschaften hält sein Fernrohr wirklich wie ein »Szepter« in den Händen.
Kepler aber klaubt sich seine eigene Wahrheit zusammen. Ein einziger Satz genügt ihm, um sich voll und ganz durch Galilei bestätigt zu sehen. Wieder einmal kann er seine Begeisterung nicht für sich behalten. Bei nächster Gelegenheit veröffentlicht er Galileis Brief. Und nicht nur den einen, sondern sämtliche verschlüsselten Botschaften und Auflösungen, die in den Monaten zuvor in Prag eingetroffen sind. Das alles versieht er mit eigenen, teils scherzhaften Anmerkungen. »Sollte die Venus nicht gehörnt sein, die täglich so vielen Hörner aufsetzt?« Eine besondere Pointe dabei: Es ist nicht der Entdecker selbst, sondern Kepler, der die bis dahin nur in privaten Mitteilungen zirkulierenden Neuigkeiten über Saturn und Venus zuerst publiziert.
Galileis Reaktion ist nicht bekannt. Wahrscheinlich bekommt er die Dioptrik , in deren Vorwort die Briefe stehen, allerdings nicht vor Ende 1612 zu Gesicht. Zu diesem Zeitpunkt sind die Venusphasen längst in aller Munde, auch er selbst hat sie seinen Lesern mittlerweile vorgestellt. Sein Ärger dürfte sich also in Grenzen gehalten haben, zumal Keplers Ausführungen wieder einmal äußerst schmeichelhaft für ihn sind.
»Du siehst also, nachdenklicher Leser, wie das Genie des wahrhaft hervorragenden Philosophen Galilei das Fernrohr gleichsam als Leiter zu gebrauchen weiß, auf der er die letzten und höchsten sichtbaren Zinnen der Welt besteigt, um dort alles unmittelbar in Augenschein zu nehmen, und wie er von dort zu diesen unseren Hüttchen, ich meine die Planetenkugeln, mit scharfem Auge herabschaut und scharfsinnig das Äußerste mit dem Innersten, das Oberste mit dem Untersten in solidem Urteil in Vergleich setzt.«
Weniger schmeichelhaft ist für Galilei, dass Kepler und nicht er selbst als Erster erläutert, wie und warum das Fernrohr funktioniert. Bisher war das Teleskop eine Art Blackbox. Viele von Galileis Freunden und Kollegen haben sich darüber beklagt, dass er sich im Sternenboten nicht zur Wirkungsweise des neuen Vergrö-ßerungsinstruments geäußert habe. Nun hat der kaiserliche Mathematiker den optischen Code geknackt und gleich ein ganzes Buch dazu vorgelegt, auf das Galilei von seinem Gönner, dem Marchese Federico Cesi, und vielen anderen Gelehrten angesprochen wird.
Den erhaltenen Briefen zufolge verliert er Kepler gegenüber kein Wort darüber. Sein einzig bekanntes Urteil über die Dioptrik ist in den Tagebuchnotizen des Franzosen Jean Tarde festgehalten. Tarde besucht Galilei 1614 während einer Italienreise und unterhält sich mit ihm über die Konstruktion des Fernrohrs. Bei dieser Gelegenheit eröffnet Galilei seinem französischen Gast, Keplers Buch sei so undurchsichtig, dass es vielleicht nicht einmal der Autor selbst verstanden habe.
In Wirklichkeit ist das Buch von einer analytischen Klarheit, wie sie Galilei selbst erst fünfundzwanzig Jahre später auf dem Gebiet der Mechanik demonstriert. Aber statt sich auf ein Terrain zu begeben, auf dem er befürchten muss, ein anderer könnte ihm überlegen sein, entwertet er Keplers Leistung und macht dessen Buch lächerlich.
Nur auf dem Gipfel seines Ruhms, nach der Entdeckung der Venusphasen, fällt ein Teil der Ehre für den deutschen Kollegen ab: Kepler gehöre zu seinen Vordenkern, die »richtig philosophiert« hätten.
Der leidenschaftliche Kepler seinerseits schreibt sogleich einen weiteren Brief zu Galileis Verteidigung, als dieser von dem Philosophen Francesco Sizzi angegriffen wird und ihn um eine Stellungnahme bittet. Danach verstummt er. Fünfzehn Monate lang hört Galilei nichts mehr von ihm. Obschon das kopernikanische Weltbild durch die jüngste Entdeckung spürbaren Aufwind bekommt und er selbst prädestiniert dafür wäre, zu einem der Wortführer in den nun aufkommenden Debatten zu werden, zieht sich Kepler zurück.
Krieg auf der Karlsbrücke
Zu Beginn des Jahres 1611 ändern sich seine Lebensumstände dramatisch. Zwar hat seine Frau Barbara soeben eine schlimme Erkrankung halbwegs überstanden, aber »kaum erholte sie sich wieder, als drei meiner Kinder im Januar 1611 von den Pocken ergriffen wurden und alle gleichzeitig aufs schwerste daniederlagen«.
Während
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