Das Weltgeheimnis (German Edition)
anderen hören.
So wenig Kepler zunächst einer solchen Aufforderung bedarf, so sehr geht Galilei einem wirklichen Dialog aus dem Weg. Lebt Kepler für die Wissenschaft, macht Galilei in seinen Briefen deutlich, dass er auch von der Forschung lebt und diese weniger als kooperative, denn als kompetitive Angelegenheit betrachtet. Ihre Kommunikation scheitert an ihrem unterschiedlichen Temperament, ihren individuellen Ambitionen und wissenschaftlichen Fragestellungen.
Und sie scheitert auch daran, dass sich die beiden Forscher auf dem Gebiet der Astronomie begegnen, auf dem Kepler seit Jahren mit der Unterstützung und dem Widerspruch großer Lehrer gearbeitet hat, während Galileis wissenschaftliche Erkenntnisse hauptsächlich auf dem Gebiet der Mechanik gereift sind. Kepler hat sein astronomisches Hauptwerk bereits geschrieben, für Galilei ist das Potenzial des Fernrohrs noch keineswegs ausgeschöpft.
Diese Schieflage spiegelt sich in ihrer gesamten Korrespondenz, die im Wesentlichen ein und demselben Muster folgt: Galilei hält Kepler über seine jeweils neuesten Beobachtungen mit dem Fernrohr auf dem Laufenden, der reagiert mit begeisterten Kommentaren, die Galileis Forschungen in einen größeren Kontext stellen, ihrerseits aber unbeantwortet bleiben.
Warum schwimmt Eis oben?
Im März 1611 bricht ihr Briefkontakt plötzlich ab. Während Galilei in Rom ins Rampenlicht der internationalen Wissenschaft tritt und die Gunst der höchsten Würdenträger der katholischen Kirche gewinnt, zieht sich der bislang so mitteilungsfreudige Kepler zurück, nachdem »außer dem öffentlichen Unglück und den Schrecken von außen her auch in meinem Hause das Verhängnis in mehrfacher Gestalt über mich hereingebrochen« ist. Durch die dramatischen Ereignisse in Prag wird er völlig aus der wissenschaftlichen Arbeit herausgerissen. Am 16. Juni 1611, in eben der Woche, in der Galilei seine triumphale Romreise glücklich beendet, nimmt Kepler einen Posten an einer kleinen evangelischen Schule in Linz an. Er muss sich mit einem Nebenschauplatz begnügen und noch dankbar dafür sein, dass er seinen Titel als kaiserlicher Mathematiker behalten darf, weil er die Arbeit an dem wertvollen Himmelskatalog, den Rudolfinischen Tafeln , zu Ende führen soll.
Galilei kann seine Forschungen in Florenz allerdings auch nicht in der gewünschten Weise fortsetzen. Die vielen Nächte vor dem Fernrohr, die Anstrengungen und Aufregungen der beiden zurückliegenden Jahre sind nicht spurlos an ihm vorbeigegangen. Rheuma und Fieberanfälle plagen ihn, nachts findet er keinen Schlaf mehr. Der schlimmste Feind seines Kopfes sei die dünne Luft im Arnotal. Der Hofphilosoph hält sich am liebsten außerhalb der Stadt in der Villa seines Freundes Filippo Salviati auf.
Dennoch muss er oft den Weg nach Florenz auf sich nehmen. Die Stellung bei den Medici bindet ihn stärker als erwartet in höfische Debatten ein. Er wird zu regelrechten Rededuellen in den Ring geschickt. Kontrahenten finden sich genug. Manch einer empfindet seinen neuen Titel als Provokation. Wie kann es sein, dass ein Mathematiker plötzlich zu solchen Ehren kommt?
Unerwartet heftig ist eine Kontroverse mit einer Gruppe Florentiner Gelehrter über die an sich harmlose Frage, warum Eis oben schwimmt. Das Thema verfolgt ihn über Jahre. Anfangs hat Galilei noch seinen Spaß an der intellektuellen Herausforderung, in der er endlich einmal wieder auf sein sorgfältiges Studium der archimedischen Schriften zurückgreifen kann. Außerdem beteiligt sich der Kardinal und spätere Papst Maffeo Barberini an der Diskussion und entpuppt sich in seinen Beiträgen einmal mehr als großer Anhänger Galileis.
Der Disput über schwimmende Körper will jedoch kein Ende nehmen. Eine Publikation seiner Gegner folgt auf die nächste, Galilei weiß bald nicht mehr, wie er »die Dummköpfe« noch zähmen soll, deren Argumente manchmal so dumm gar nicht sind.
Es bedarf eines Anstoßes von außen, ehe er seine astronomischen Studien zu Beginn des Jahres 1612 wieder mit gesteigertem Ehrgeiz aufnimmt. Und kaum liegen neue Forschungsergebnisse vor, greift Galilei noch einmal zur Feder. Er bricht sein langes Schweigen und informiert Kepler über seine Sonnenbeobachtungen.
»Alle sind von der Wahrheit weit entfernt«
Sein Brief vom 23. Juni 1612 ist der letzte erhaltene Brief ihrer Korrespondenz, wenn man von einem belanglosen Empfehlungsschreiben für einen jungen Mann fünfzehn Jahre später absieht. Wie immer
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