Das Weltgeheimnis (German Edition)
schreibt Galilei an den toskanischen Botschafter in Prag, über den der Kontakt auch bisher gelaufen ist. Er beginnt mit einer Entschuldigung: Verschiedene Zwischenfälle, allen voran seine gesundheitlichen Probleme, hätten ihn über Monate lahmgelegt.
Galileis allererste, noch wenig differenzierte Skizzen der Sonnenflecken zwischen Februar und April 1612. [16]
Schon lange habe er nichts mehr von Kepler gehört. »Ich vermute, dass die zurückliegenden Tumulte der Grund dafür sind.« Jetzt aber würde er gern erfahren, wie es ihm gehe. »Ich glaube, es würde ihn freuen zu hören, wie ich endlich die Umlaufzeiten der Jupitermonde bestimmt und genaue Tabellen dazu angelegt habe.«
Nach dieser Einleitung und einem Exkurs zu den Jupitermonden kommt er auf sein eigentliches Anliegen zu sprechen: die Erforschung der Sonne, seine letzte bedeutende Beobachtungsreihe mit dem Fernrohr, die letzte überhaupt in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts. Erst Jahrzehnte später werden Astronomen den Horizont noch weiter hinausschieben können – dank einer neuen Verbindung von handwerklichem und wissenschaftlichem Wissen, einer neuen Schleiftechnik für die Glaslinsen und mit neuen Teleskopen, die Kepler bereits in ihren Grundzügen beschrieben hat.
»Etwa fünfzehn Monate oder mehr sind vergangen, seit ich erstmals einige dunkle Flecken auf der Sonne beobachtet habe«, so Galilei. »Schon im April vergangenen Jahres, als ich mich in Rom aufhielt, habe ich sie einigen Prälaten und anderen Herrschaften gezeigt.« Seither seien die Sonnenflecken auch andernorts beobachtet worden, und man habe verschiedene Meinungen dazu geäußert und publiziert. »Aber alle sind von der Wahrheit weit entfernt.«
Diese Wendung zielt zuallererst gegen den Jesuitenmathematiker Christoph Scheiner, dessen Abhandlung über die Sonnenflecken längst die Runde gemacht hat. Trotzdem meint Galilei, noch einmal die Nase vorn zu haben. Denn es reicht seiner Meinung nach bei Weitem nicht aus, ein Phänomen nur zu sehen – man muss es auch zu deuten wissen. Die richtige Interpretation der Flecken aber, dessen ist er sich sicher, hat er selbst nach monatelangen Aufzeichnungen gefunden. In dem nun beginnenden Streit um den Vorrang als Entdecker der Sonnenflecken, den Galilei bis an sein Lebensende austragen wird, käme ihm Keplers Beistand gerade recht.
Der unter einem Pseudonym auftretende Scheiner, Mathematiker an der Universität Ingolstadt, hat die Sonne von einem Kirchturm aus beobachtet. Um keine Schädigung des Augenlichts zu riskieren, hat er die Sonnenstrahlen mit gefärbten Gläsern abgeschwächt und seine Forschungen auf die frühen Morgen- und Abendstunden konzentriert, in denen das Licht auf dem langen Weg durch die Atmosphäre gedämpft wird.
Scheiner bezweifelt, dass die durch das Fernrohr erkennbaren Flecken irgendetwas mit der Sonne selbst zu tun haben. Für ihn steht ihre Vollkommenheit nicht zur Disposition. Wahrscheinlicher ist seiner Ansicht nach, dass kleine Himmelskörper an der Sonnenscheibe vorbeiziehen und sie verdunkeln. Scheiner schließt daraus, dass es zwischen Erde und Sonne einen ganzen Schwarm solcher Gestirne gibt.
Momentaufnahmen einer rotierenden Sonne
Der reiche Augsburger Patrizier Markus Welser hat Scheiners Arbeit gedruckt und etlichen Gelehrten zugeschickt, unter ihnen Kepler und Galilei, die unabhängig voneinander zu ganz ähnlichen Beurteilungen gekommen sind. Galilei hat sich mit seiner Entgegnung einige Monate Zeit gelassen.
Er müsse vorsichtiger sein als jeder andere, begründet er sein Zögern. Mit der Äußerung einer Hypothese müsse er so lange warten, bis er einen »mehr als sicheren Beweis« dafür habe, denn von den vielen »Gegnern des Neuen« würde ihm jeder Irrtum, und wäre er noch so verzeihlich, als grobe Fahrlässigkeit angekreidet. Lieber wolle er sich also damit begnügen, der Letzte zu sein, der einen richtigen Gedanken ausspricht, als anderen zuvorzukommen und dann das, was er überstürzt und ohne viel Überlegung angeführt habe, wieder korrigieren zu müssen.
Ganz so bescheiden ist Galilei aber doch nicht. Später behauptet er, lange vor Scheiner mit seinen Beobachtungen begonnen zu haben. Er datiert den vermeintlichen Beginn seiner Sonnenforschung immer weiter zurück, bezeichnet den hartnäckigen Konkurrenten schließlich als »Schwein« und »Esel«.
Dabei hat ihn erst Scheiners Vorstoß zu jener meisterhaften Untersuchung angestachelt, die der des Jesuitenmathematikers in
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