Das Weltgeheimnis (German Edition)
Stier, Zwillinge, Krebs, Löwe, Jungfrau, Waage, Skorpion, Schütze, Steinbock, Wassermann und Fische. Sie bilden das Bühnenbild, vor dem die Sonne und die Planeten wandern.
Im Zeitraffer fahren sie über das Gewölbe. Die ganze Szenerie spiegelt dem Betrachter zweierlei vor: erstens, dass er sich der Mitte der Welt befindet, an dem Punkt, um den sich alles dreht, und zweitens, dass sämtliche Himmelskörper deshalb mit so schöner Regelmäßigkeit wiederkehren, weil sie auf Kreisbahnen umherziehen. Schwer einzusehen, dass beides eine Illusion sein soll.
In unseren hell erleuchteten Städten verliert sich das Funkeln der Sterne und Planeten. Im Planetarium dagegen kann man noch einmal nachvollziehen, wie und warum sich das kosmologische Weltbild erst an der Schwelle zur Neuzeit so grundlegend geändert hat.
Ein kosmologisches Quartett
Der künstliche Sternenhimmel macht es möglich, das Rad der Zeit beliebig weit zurückdrehen. Zum Beispiel bis zum Mittwoch, den 13. November 1577: An diesem Tag steht der dreißigjährige Tycho Brahe kurz vor Sonnenuntergang an einem seiner Teiche auf der dänischen Insel Hven und angelt Fische fürs Abendessen. Plötzlich entdeckt er am westlichen Abendhimmel, über dem Kopf des Sternbilds Schütze, einen außergewöhnlich hellen Stern. Mit zunehmender Dunkelheit wird der Stern größer und nimmt die Form eines Kometen an. Sein langer, leicht gebogener Schweif zeigt in Richtung Steinbock.
Über ganz Europa ist der Komet wochenlang zu sehen. Im süddeutschen Leonberg steigt der kaum sechsjährige Johannes Kepler mit seiner Mutter auf einen Hügel, um den Schweifstern und vermeintlichen Unglücksboten zu bestaunen. Auch der dreizehnjährige Galileo Galilei, Klosterschüler in der Abtei von Vallombrosa in der Nähe von Florenz, beobachtet das beeindruckende Himmelsschauspiel.
Brahe stellt fest, dass sich der Komet quer zu den Planeten bewegt. Wenn es also, wie seinerzeit allgemein angenommen, kristallene Kugelschalen im Kosmos gäbe, die die Planeten tragen, würde der Komet sie auf seiner Bahn durchstoßen. Wenige präzise Messungen genügen Brahe, um die alte Vorstellung vom Kosmos als Zwiebel konzentrischer Kristallsphären zu zerstören.
Trotzdem erliegt auch er der Illusion, dass alle Planeten bei ihren Umläufen Kreisbahnen beschreiben. Bis an sein Lebensende hält Brahe außerdem an der Überzeugung fest, dass die Erde im Zentrum des Universums ruht. Zwar erkennt er viele Vorzüge des kopernikanischen Weltmodells, aber den letzten, entscheidenden Perspektivwechsel macht Brahe nicht mit. Seiner Ansicht nach sprechen vor allem die Alltagserfahrung und physikalische Überlegungen gegen eine Bewegung der Erde.
Sein Schüler, der kurzsichtige Junge aus Süddeutschland, arrangiert Brahes Beobachtungsdaten zu einer neuen Ordnung. Kepler gelingt es als erstem Forscher, das ungemein komplexe mathematische Problem zu lösen und die »wahren« Bewegungen der Planeten zu ermitteln. Wir, die Zuschauer des Sternenspektakels im Planetarium, wandern demnach auf der rotierenden Erde um die Sonne, und zwar nicht auf Kreisbahnen, sondern wie alle Planeten auf einem elliptischen Kurs.
Kepler gibt auch eine neue Ursache für die Himmelsbewegungen an. Statt von Kristallsphären spricht er von Anziehungskräften im Sonnensystem. Damit nimmt er einen wesentlichen Gedanken der modernen Gravitationstheorie vorweg. Was ihm allerdings nicht glückt: Brahes physikalische Einwände gegen eine Bewegung der Erde und das kopernikanische System nachhaltig zu entkräften.
Genau hier setzt Galilei an, der seine Vorstellungen vom Aufbau der Welt mit einiger Verzögerung darstellt. Erst in seinem kosmologischen Spätwerk führt er aus, warum wir von einer Bewegung der Erde nichts mitbekommen, warum uns trotz der rasenden Umdrehung des Globus und seiner Fahrt um die Sonne nicht ständig ein Gegenwind um die Ohren bläst. Er begründet die neue kopernikanische Astronomie mit einer neuen Physik.
Galileis Forschungen ergänzen aber nicht einfach diejenigen Keplers – sie widersprechen ihnen sogar. Die physikalischen Überlegungen, mit denen er das kopernikanische Weltbild stützt, sind mit den keplerschen Ellipsen nicht zusammenzubringen. Für Galilei bleibt der Kreis die natürliche Bahn, auf der sich die Gestirne bewegen.
Im Rückblick erscheint es wie ein Anachronismus, dass Brahe nach Kopernikus immer noch die Erde für die Mitte der Welt hält und dass Galilei nach Kepler immer noch die Kreisbahn
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