Das Weltgeheimnis (German Edition)
favorisiert. Solche Vergleiche zeigen aber lediglich, dass die Forschung nicht geradlinig fortschreitet. Wegen der spezifischen Fragestellungen einzelner Wissenschaftler fügen sich vorhandene Bausteine immer wieder in überraschender Weise zu neuen Modellen zusammen.
Erkenntnisse werden nicht einfach akkumuliert, sondern führen zu unterschiedlichen Theorien mit charakteristischen Stärken und Schwächen. Auch Konzepte, die sich später als richtig herausstellen, haben zunächst rein hypothetischen Charakter. Sie müssen sich behaupten und durchsetzen. Die Umbruchphase vom 16. zum 17. Jahrhundert ist in dieser Hinsicht besonders dynamisch. Die Auseinandersetzung um neue Weltbilder, die plötzlich entstehen und neben alte Vorstellungen treten, wird ungewöhnlich heftig geführt.
Generationenwechsel in der Wissenschaft
Das Dekret gegen Kopernikus im Jahr 1616 hat die Debatte nicht beendet. Zwar sind Galileis Forschungen dadurch ins Stocken geraten. Aber nach der Wahl eines neuen Papstes hat er sofort wieder Hoffnung für sein ambitioniertes kopernikanisches Projekt geschöpft. Er möchte sein Lebenswerk nun endlich krönen.
Dafür wählt Galilei die literarische Form eines Dialogs zwischen drei Personen. Neben seinen langjährigen Freunden Filippo Salviati und Giovanni Francesco Sagredo tritt als weiterer Gesprächsteilnehmer eine Kunstfigur darin auf: Simplicio, die Karikatur eines Schulphilosophen und Aristotelikers. Diesem Einfaltspinsel werden alle Argumente in den Mund gelegt, die gegen das kopernikanische System sprechen. Er muss sie peu à peu zurücknehmen. Der Autor selbst tritt in den Hintergrund, lässt seine eigene Meinung dennoch mehr als deutlich werden – ein riskantes Spiel angesichts des römischen Verbots.
Im Herbst 1629 schreibt Galilei an Elia Diodati in Paris, er habe die Arbeit an seinem Dialog nach drei Jahren endlich wieder aufgenommen. Wenn er gut durch den Winter komme, werde er das Werk mit Gottes Gnade zum Abschluss bringen. Dem Briefpartner verspricht er den Nachweis, dass alles, was Brahe und andere gegen Kopernikus eingewendet hätten, haltlos sei.
Haltlos? Brahes Messungen der Planetenpositionen gelten als die mit Abstand präzisesten in der gesamten Geschichte der Astronomie. Allerdings hat Galilei gar nicht die Absicht, die Umlaufbahnen der Planeten Punkt für Punkt aus Beobachtungsdaten zu rekonstruieren. Dieser in seinen Augen pedantischen Arbeit sind Brahe und Kepler nachgegangen. Der fünfundsechzigjährige Hofphilosoph der Medici beschreitet andere Wege. Er möchte die physikalischen Prinzipien herausarbeiten, die dem Bau der Welt zugrunde liegen.
Dafür braucht er keine Rudolfinischen Tafeln . Als die umfangreiche Datensammlung, die Kepler für die Wissenschaft aufbereitet hat, nach Italien gelangt, reicht Galilei sie gleich an seinen Schützling Bonaventura Cavalieri weiter, einen jungen Mathematiker, den Galilei für die Professur in Bologna empfohlen hat. Bei ihm ist der Himmelskatalog in guten Händen. Cavalieri studiert die Tafeln zusammen mit Keplers Lehrbüchern. Es dauert nicht lange, bis er die keplerschen Planetengesetze in seine Vorlesungen aufnimmt. »Ich lese die Theorien der Planeten aus Sicht der vier hauptsächlichen Autoren, also Ptolemäus, Kopernikus, Tycho und Kepler«, teilt er seinem Mentor Galilei mit.
Die meisten europäischen Mathematiker hätten zu dieser Zeit wohl dieselbe Liste bedeutender Astronomen aufgestellt, um das Spektrum der unterschiedlichen Hypothesen zum Aufbau der Welt aufzuzeigen. Galilei hingegen sieht sich selbst als einzig legitimen Nachfolger des Kopernikus und als Erneuerer der Astronomie. Ihm allein sei es gegeben, »alle neuen Phänomene am Himmel zu entdecken, und niemandem sonst«.
Konsequenterweise heißt sein großes Werk, dessen Titel er wenige Monate nach Cavalieris Brief auf Wunsch des Papstes noch einmal ändern muss, Dialog über die beiden hauptsächlichen Weltsysteme, das ptolemäische und das kopernikanische . Die Theorien der beiden größten zeitgenössischen Astronomen, Brahe und Kepler, kommen darin nicht vor. Sie werden von Galilei schlicht ignoriert.
Parallel zu Galileis Dialog veröffentlicht Cavalieri ein völlig anderes Buch. Es ist ein Fachbuch über Kegelschnitte, eine Klasse mathematischer Figuren, zu der sowohl die Wurfparabel gehört, die Galilei in Padua untersucht hat, als auch die keplersche Ellipse. Inspiriert durch die Arbeiten beider Forscher, bringt Cavalieri ihre Erkenntnisse auf der
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