Das Weltgeheimnis (German Edition)
Ebene der Mathematik zusammen. Diesmal wird er noch deutlicher: Kepler habe die Kegelschnitte »in höchstem Maße geadelt, indem er uns mit klaren Beweisgründen in seiner Neuen Astronomie und seiner Epitome gezeigt hat, dass die Umlaufbahnen der Planeten um die Sonne keine Kreisbahnen sind, sondern Ellipsen«.
Eine unmissverständliche Aussage! Vor allem Keplers Lehrbuch hat dem jungen Wissenschaftler vor Augen geführt, welche Vereinfachungen die Ellipsenbahnen für die ganze Astronomie mit sich bringen. Warum geht Galilei diesen Schritt nicht mit?
Auch er hat sich eingehend mit den Kegelschnitten befasst, bei der Analyse der Flugkurven von Geschossen hat er aus demselben mathematischen Fundus der Ellipsen, Parabeln und Hyperbeln geschöpft. Trotzdem ist Galilei den keplerschen Ellipsenbahnen von Beginn an nicht mit dem unvoreingenommenen Blick Cavalieris begegnet. Er ist gefangen im goldenen Käfig seiner Überheblichkeit und seiner Überzeugungen.
Kreis oder Ellipse?
Das Buch der Philosophie sei in der Sprache der Mathematik geschrieben, so Galileis, so auch Keplers Ansicht. Galilei aber beschreibt mithilfe der Mathematik zuallererst irdische Prozesse wie Fall- und Wurfbewegungen. Dabei muss er von Einflüssen wie dem Luftwiderstand oder der Reibung abstrahieren. Der Physiker Galilei darf es mit der Beobachtung nicht allzu genau nehmen.
Ein Kanonier zum Beispiel würde die Flugbahn eines Geschosses niemals als Parabel beschreiben. Galilei dagegen hat in seiner Zeit in Padua eine solche Flugbahn berechnet. Seine mathematische Flugkurve ist das Resultat zweier Bewegungen: einer horizontalen und einer vertikalen. In Galileis Augen würde die Kugel immer weiter fliegen, ihre horizontale Bewegung würde unaufhörlich fortbestehen und in einen Kreis um das Erdzentrum einmünden, wenn keine störenden Einflüsse vorhanden wären. Doch genau die gibt es: in Form der Schwere. Sie zwingt der Kugel eine nach unten gerichtete, beschleunigte Bewegung auf. Beide Komponenten zusammen ergeben die parabelförmige Flugkurve.
Anders die Planeten. Ihre Bewegungen stellt sich Galilei als ungestörte Kreisläufe vor. Denn seine Auffassung von der Kreisbewegung als einem Zustand, der keiner dauernden Kraftwirkung bedarf, fügt sich bestens in das Bild einer immerwährenden kosmischen Ordnung ein. An dieser Vereinfachung festzuhalten sei daher absolut folgerichtig gewesen, urteilt der Philosoph Karl Popper. Wer das nicht einsehe, verkenne Galileis historische Situation.
Galilei projiziert die Ergebnisse aus seiner Mechanik an den Himmel und geht zu den Beobachtungsdaten der Astronomen auf Distanz. Kepler dagegen glaubt an mathematische Gesetze im Kosmos, die in aller Strenge gelten. Auf der Erde mag das Chaos regieren, am Himmel herrscht eine aus seiner Sicht perfekte Ordnung. Daher will er die Welt genau so beschreiben, wie sie ist: ausgehend von Tycho Brahes präzisen astronomischen Messwerten. Sie erst bringen ihn dazu, die vielen Kreise am Himmel durch eine einzige »vollkommene« Ellipse zu ersetzen. Das mathematische Gesamtbild wird dadurch einfacher, erfordert aber ein bis dahin unbekanntes Spiel der Anziehungskräfte.
Keplers Himmelsphysik unterscheidet sich grundlegend von Galileis physikalischem Denken. Für den Italiener sind alle Spekulationen über Anziehungskräfte völlig überflüssig, die keplerschen Ellipsenbahnen nichts als Gespenster, die es zu verscheuchen gilt. Als er erstmals mit ihnen konfrontiert wurde, hatte er die Kreisbahn als Grundelement seiner Bewegungslehre bereits gefunden. Sein »zirkuläres Trägheitsgesetz« ernsthaft zu hinterfragen und zu korrigieren wird Cavalieri und anderen jüngeren Forschern vorbehalten bleiben.
»Eine neue wissenschaftliche Wahrheit pflegt sich nicht in der Weise durchzusetzen, dass ihre Gegner überzeugt werden und sich als belehrt erklären«, so der Physiker Max Planck, »sondern dadurch, dass die Gegner allmählich aussterben und dass die heranwachsende Generation von vorneherein mit der Wahrheit vertraut gemacht ist.«
Gottes großer Wurf
Bemerkenswert ist, wie Galilei die Kreisbahnen der Planeten in seinen Dialog einführt. Gleich in den ersten Passagen mahnt er die Leser, die Grundlagen des Weltgebäudes müssten unerschütterlich fest sein. Wer den Aufbau des Universums verstehen wolle, dürfe nicht blind der Autorität des Aristoteles vertrauen. Denn bei diesem seien Anzeichen dafür zu finden, »dass er die Absicht hat, uns falsche Karten in die Hände zu
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