Das Weltgeheimnis (German Edition)
Gesten sind genau wie sein sonstiges Verhalten im Kometenstreit ein Beispiel für das, was Albert Einstein einmal auf die prägnante Formel gebracht hat: »Ein Wissenschaftler ist eine Mimose, wenn er selbst einen Fehler gemacht hat, und ein brüllender Löwe, wenn er bei anderen einen entdeckt.«
Die rhetorischen Waffen, die Galilei in seiner Propagandaschrift benutzt hat, bleiben diesmal stumpf. Mit solchen Mitteln sind Keplers Einwände nicht zu entkräften. Da Galileis eigene Hypothesen über die Kometen auf schwachen Füßen stehen und er sie nicht durch Beobachtungsdaten belegen kann, wird er von Monat zu Monat leiser.
Während er bereits an seinem kopernikanischen Dialog arbeitet, sitzt ihm Kepler mit seiner Kritik aber zumindest eine Zeit lang im Nacken. Könnte der kaiserliche Mathematiker, der ihn vor fünfzehn Jahren in den Himmel gehoben und der sich nun auf unerwartete Weise in Erinnerung gerufen hat, am Ende noch zu seinem Gegenspieler werden? Im August 1627 schickt Galilei ihm noch einmal einen Brief: ein förmliches Empfehlungsschreiben für einen jungen Mann. Der Versuch einer Kontaktaufnahme?
Auch aus Linz vertrieben
Kepler hat Oberösterreich zu diesem Zeitpunkt schon verlassen. Die kaiserlichen Söldnertruppen, angeführt von den Feldherrn Tilly und Wallenstein, haben binnen weniger Jahre nahezu das ganze Reichsgebiet unter ihre Kontrolle gebracht. Ferdinand II. ist auf dem Höhepunkt seiner Macht angelangt und will das Rad der Geschichte mit aller Gewalt zurückdrehen. Er fordert, dass jeglicher Kirchenbesitz, der seit dem Augsburger Religionsfrieden 1555 säkularisiert worden ist, der katholischen Kirche zurückerstattet werden soll.
Es sind düstere Jahre für die Protestanten im Reich. Die Nichtkatholiken in Linz werden schikaniert und aus der Stadt ausgewiesen. Kepler, der sich wiederholt für eine Versöhnung der Konfessionen einsetzt, gerät erneut zwischen die Fronten.
In Linz hatte er zuletzt noch mit dem Druck der Rudolfinischen Tafeln begonnen, an denen er fünfundzwanzig Jahre gearbeitet hatte. Monatelang war er durch Deutschland gereist, um wenigstens einen Teil der Druckkosten zusammenzubekommen. Als sich dann im Frühjahr 1626 die Bauern in ganz Oberösterreich erhoben und Linz belagerten, ging die Druckerei in Flammen auf. Sollten all die Mühen umsonst gewesen sein? Wo konnte er mit den finanziellen Ressourcen, die ihm geblieben waren, noch eine Druckerei finden, um Tycho Brahes Lebenswerk zum Abschluss zu bringen? »Welchen Ort soll ich wählen, einen schon verwüsteten oder einen, der erst noch verwüstet wird?«, fragt er sich angesichts seiner hoffnungslosen Lage.
Kepler findet keine dauerhafte Heimat mehr. Seine Familie bringt er erneut nach Regensburg und begibt sich anschließend nach Ulm, wo er seine letzte astronomische Arbeit unter persönlichen Opfern vollendet. Sie möge »ein günstiges Vorzeichen für einen nahen Friedensschluss bedeuten«, schreibt er in seiner Widmung an den Kaiser.
Die Rudolfinischen Tafeln werden in den nächsten hundert Jahren der Himmelskatalog schlechthin für die Wissenschaft sein. Die Zuverlässigkeit der darin enthaltenen Daten von etwa tausend Sternen wird wesentlich zur Anerkennung des kopernikanischen Systems beitragen, für das sich Kepler zeit seines Lebens eingesetzt hat. Der Krieg aber tritt entgegen Keplers Hoffnung in eine neue Phase unbeschreiblicher Grausamkeit ein. Nach der Zerstörung Magdeburgs und anderer Städte bleibt nichts als verbrannte Erde übrig.
DER GETEILTE HIMMEL
Galileis Prozess und die Entstehung des neuzeitlichen Weltbilds
Plötzlich gehört der Himmel mir allein: Neuntausend Sterne, mehr als man in einer klaren Nacht mit bloßem Auge sehen kann. Und vor mir ein Pult voller blauer und roter Knöpfe. Etwas zögerlich blende ich mit einem Dimmer den Mond ein, dann die barocken Sternbilder. Vor der Tür telefoniert der Leiter des Berliner Planetariums, Jochen Rose, mit seinem Handy, während das Sternenkarussell im Kuppelsaal allmählich in Fahrt kommt. Im Osten tauchen ständig neue Sterne und Sternbilder auf, seit Menschengedenken kehren sie Nacht für Nacht wieder.
Während die vielen Sterne über das ganze Himmelsgewölbe verteilt sind, laufen die wenigen Planeten auf einem schmalen Gürtel in der Kuppel, dem Tierkreis. Er sei die Laufbahn der Planeten, sagt Rose, als er zu seinem Schaltpult zurückkehrt. Die Sternbilder, die diesen Tierkreis formieren, sind seit der Antike überliefert: Widder und
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