Das Weltgeheimnis (German Edition)
in Galileis Namen um ein fachmännisches Urteil bitten.
Sein bester Helfer
Es ist nach fast dreizehn Jahren die erste Nachricht, die Kepler von Galilei bekommt. Der Italiener hat ihm damals einen vielversprechenden Brief geschrieben und sich zum kopernikanischen Weltbild bekannt, hat weitere Exemplare seines Weltgeheimnisses angefordert, ihm aber anschließend den Rücken gekehrt. Galilei ist auch auf keines seiner späteren Gesprächsangebote mehr eingegangen, hat auf keines seiner inzwischen zahlreichen Bücher reagiert.
Nun sind ihre Rollen vertauscht. 1597 war Kepler der Debütant, Galilei dagegen schon seit einigen Jahren Professor an einer berühmten Universität. Damals hatte Kepler gerade seine allererste wissenschaftliche Veröffentlichung geschrieben und wollte Galileis Meinung dazu hören. Jetzt bestellt der toskanische Gesandte Kepler zu sich, liest ihm eine persönliche Note Galileis vor, überreicht ihm dessen erste wissenschaftliche Publikation, den Sternenboten , und lädt ihn nur wenige Tage darauf noch einmal zu sich ein, um zu erfahren, was er davon hält.
Johannes Kepler reagiert ausgesprochen großzügig. Als kaiserlicher Mathematiker steht er immer noch zu dem, was er 1597 in jenem Brief formuliert hat, der von Galileis Seite aus unbeantwortet geblieben ist: dass es nämlich besser wäre, durch gemeinsames Einstehen für die kopernikanische Idee »den einmal in Gang gebrachten Wagen ans Ziel zu reißen«.
In einem offenen Brief greift er Galilei jetzt mit Argumenten unter die Arme. Er habe die bescheidene Hoffnung, so Kepler, ihm auf diese Weise zu helfen, wie durch einen Schutzschild besser gewappnet zu sein »gegen die griesgrämiger Kritiker alles Neuen, denen das Unbekannte unglaubhaft, und alles, was jenseits der gewohnten Grenzpfähle der Aristotelischen Enge liegt, schädlich und gar frevelhaft vorkommt«.
Galilei hat Kepler damals als »Gefährten bei der Erforschung der Wahrheit« bezeichnet und ihn damit treffend charakterisiert. Kepler betrachtet die Wissenschaft als Erkenntnisprozess, der einer großen gemeinschaftlichen Anstrengung bedarf. Der »Freund der Wahrheit« engagiert sich auch diesmal; von der starken Rivalität, die Galilei und etliche andere Wissenschaftler umtreibt, ist bei ihm wenig zu spüren.
Kepler lässt keine Zweifel daran, dass mit dem Fernrohr eine neue Ära der Himmelskunde begonnen hat, dass nun »die Gespenster der Ungewissheit mit ihrer Mutter, der Nacht, vertrieben« sind. Obschon er nicht die Möglichkeit hat, selbst durch ein Fernrohr zu schauen, geht er auf alle Beobachtungen Galileis ein und nimmt den noch unbeglaubigten Sternenboten zum Anlass, einige seiner eigenen Annahmen über die Natur der Himmelskörper zu revidieren. Er sieht nun alle »Liebhaber wahrer Philosophie« zur Eröffnung großer Spekulationen aufgerufen. Seine Begeisterung wirkt ansteckend. Keplers ausführlicher Kommentar erweist sich als eine wunderbare Ergänzung zu dem nüchternen Forschungsbericht Galileis, bestens dazu geeignet, einen Medici-Fürsten und ein breites Gelehrtenpublikum von Galileis Großtat zu überzeugen.
Höhere Pläne
Für Galilei kommt das Gutachten wie gerufen. Allerdings fordert ihn Kepler an vielen Stellen dazu auf, deutlicher zu werden, seine Entdeckungen und das Instrument näher zu erläutern. Er wirft so viele Fragen auf, dass Galilei den fälligen Dankesbrief wohl schon deshalb mehrere Monate lange vor sich her schiebt. In Anbetracht dessen, was an Arbeit vor ihm liegt, hat er nicht die Muße, sich Keplers Mitteilungsdrang zu öffnen und auf all die offenen Punkte einzugehen, die zum gegenwärtigen Zeitpunkt kaum zu beantworten sind. Sie können großenteils nur durch weitere Beobachtungen mit seinem Fernrohr geklärt werden.
Bisher ist ja erst der Anfang gemacht. Wer weiß, welche Himmelskörper und Phänomene da draußen noch einer Entdeckung harren? Ob zum Beispiel nicht auch Mars und Venus von Monden umgeben sind? Jeder dieser Planeten kann für neue Überraschungen sorgen, für jeden muss er den jeweils günstigsten Beobachtungszeitraum abpassen.
Statt auf Keplers Brief zu antworten, forciert Galilei seine Bewerbung und studiert mit aller gebotenen Aufmerksamkeit sämtliche gegenwärtig am Nachthimmel sichtbaren Planeten. Allen voran behält er die vier bereits entdeckten Jupitermonde im Auge. Er möchte die Umlaufbahn und Umlaufperiode jedes einzelnen Mondes möglichst genau bestimmen, ein Problem, dem er Hunderte von Nächten und
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