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Das Werk - 14

Das Werk - 14

Titel: Das Werk - 14 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Émile Zola
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sie ihn beim Erwachen Weisen aus Südfrankreich pfeifen hörte, so hatte sie doch eine andere große Sorge, die sie vor ihm verhehlt hatte, in der Furcht, ihn noch mehr zu bedrücken. An diesem Tage würde es zum ersten Mal an allem fehlen; eine ganze Woche war noch bis zu dem Tag, an dem sie die Rate der Jahreszinsen bekamen; und sie hatte am Morgen ihren letzten Sou ausgegeben, für den Abend blieb ihr nichts, nicht einmal soviel, um ein Brot auf den Tisch bringen zu können. An welche Tür sollte sie klopfen, wie ihn weiter belügen, wenn er hungrig nach Hause kam? Sie entschloß sich, ihr schwarzes Seidenkleid zu versetzen, das Frau Vanzade ihr damals geschenkt hatte, aber das fiel ihr schwer, sie zitterte vor Angst und Scham beim Gedanken an das Pfandhaus, dieses Freudenhaus der Armen, das sie noch niemals betreten hatte. Eine solche Furcht vor der Zukunft quälte sie nun, daß sie von den zehn Francs, die man ihr lieh, nur soviel nahm, um eine Sauerampfersuppe und ein Kartoffelragout zu machen. Beim Verlassen der Pfandleihe hatte sie eine Begegnung, die ihr den Rest gab.
    Ausgerechnet an diesem Tag kam Claude sehr spät nach Hause, mit fröhlichen Gebärden, mit hellen Augen, ganz erregt von geheimer Freude, und er hatte großen Hunger, er schimpfte, weil nicht für ihn gedeckt war. Als er dann zwischen Christine und dem kleinen Jacques am Tisch saß, löffelte er die Suppe und schlang einen Teller Kartoffeln hinunter.
    »Wieso? Das ist alles?« fragte er dann. »Du hättest ruhig noch etwas Fleisch dazulegen können … Mast du dir schon wieder Schuhe kaufen müssen?«
    Sie stammelte, sie wagte nicht, die Wahrheit zu sagen, war zutiefst gekränkt über diese Ungerechtigkeit.
    Aber er redete weiter, zog sie auf mit den Sous, die sie verschwinden ließ, um sich etwas zu leisten; und da er immer gereizter wurde in seinem egoistischen Verlangen nach guten Dingen, auf die er nicht verzichten wollte, brauste er mit einem Mal gegen Jacques auf:
    »Sei doch still, verdammter Bengel! Das bringt einen ja schließlich hoch!«
    Jacques, der zu essen vergaß, klopfte mit seinem Löffel auf den Rand seines Tellers, seine Augen blitzten schalkhaft, und er sah entzückt aus über diese Musik.
    »Jacques, sei still!« schimpfte die Mutter nun auch. »Laß deinen Vater in Ruhe essen.«
    Und erschrocken verfiel der Kleine, der sofort ganz artig war, wieder in seine düstere Reglosigkeit, sah mit glanzlosen Augen auf seine Kartoffeln herab, die er immer noch nicht aß.
    Claude stopfte sich absichtlich mit Käse voll, während die untröstliche Christine die Absicht äußerte, ein Stück kaltes Fleisch vom Fleischer zu holen; aber er wollte das nicht, er hielt sie zurück mit Worten, die ihr noch größeren Kummer bereiteten. Als dann der Tisch abgeräumt war und sie sich alle drei für den Abend um die Lampe zusammenfanden – sie über ihre Näharbeit gebeugt, der Kleine stumm vor einem Bilderbuch –, trommelte er lange mit den Fingern, war geistig abwesend, war wieder dorthin zurückgekehrt, wo er herkam. Jäh stand er auf, holte ein Blatt Papier und einen Bleistift, setzte sich wieder und fing an, im runden, grellen Lichtschein, der vom Lampenschirm herabfiel, rasche Striche aufs Papier zu werfen. Und diese Skizze, die er aus der Erinnerung zeichnete, weil es ihn drängte, das Getümmel der in seinem Schädel hämmernden Ideen nach außen zu übertragen, reichte bald nicht mehr aus, um ihm Erleichterung zu verschaffen. Das peitschte ihn im Gegenteil auf, das ganze Getöse, von dem er übervoll war, strömte über seine Lippen, mit einem Schwall von Worten machte er schließlich seinem Herzen Luft. Er hätte zu Mauern geredet, er wandte sich an seine Frau, weil sie da war.
    »Da, das haben wir gestern gesehen … Oh, prächtig! Ich habe heute drei Stunden dort gestanden, ich habe, was ich brauche, oh, etwas Aufsehenerregendes, ein tolles Ding, das alles umhaut … Sieh her! Ich stelle mich unter der Brücke hin, ich habe als Vordergrund den Hafen SaintNicolas mit seinem Kran, seinen Lastkähnen, die entladen werden, seinem Volk von Schauerleuten. Na, verstehst du, das hier, das ist das arbeitende Paris! Handfeste Kerle mit nackter Brust und bloßen Armen … Dann, auf der anderen Seite, habe ich die Flußbadeanstalt, das sich vergnügende Paris, und dort bestimmt einen Kahn, der die Mitte der Komposition einnimmt; aber das weiß ich noch nicht recht, das muß ich noch suchen … Natürlich die Seine in der Mitte, breit,

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