Das Werk - 14
ganz ihm allein überließ; aber er begriff, daß sie sich grämte, weil sie nicht mit zu Sandoz gehen konnte; und andererseits war hier weder die Freiheit noch die Einsamkeit der weiten Flur, hier war Paris, mit den tausend Boshaftigkeiten der Nachbarschaft, mit notgedrungen gemachten Bekanntschaften, mit allem, was eine Frau verletzt, die unverheiratet mit einem Mann zusammen lebt. Er hatte im Grunde gegen die Heirat nichts weiter vorzubringen als seinen alten Einwand, daß ein Künstler sich nicht fest binden darf. Da er sie doch nie mehr verlassen würde, warum sollte er ihr da nicht diese Freude bereiten? Und als er zu ihr darüber sprach, schrie sie tatsächlich laut auf, warf sie sich ihm an den Hals, selber ganz überrascht, daß sie eine so große Rührung dabei empfand. Eine Woche lang war sie unendlich glücklich darüber. Dann legte sich das wieder, noch lange vor der feierlichen Handlung.
Übrigens trieb Claude bei keiner der Formalitäten zur Eile an, und auf die erforderlichen Papiere mußte lange gewartet werden. Er trug weiter Studien für sein Gemälde zusammen, sie schien ebenso wie er Geduld zu haben. Wozu auch ungeduldig sein! Die Heirat würde gewiß nichts Neues in ihr Dasein bringen. Sie hatten beschlossen, sich nur standesamtlich trauen zu lassen, nicht aus betonter Mißachtung der Religion, sondern um es rasch und schlicht zu machen. Die Frage der Zeugen setzte sie eine Weile in Verlegenheit. Da Christine niemand kannte, gab er ihr Sandoz und Mahoudeau; zunächst hatte er anstelle von Mahoudeau an Dubuche gedacht; bloß er bekam ihn nicht mehr zu sehen, und er fürchtete ihm Unannehmlichkeiten zu bereiten. Für sich selber begnügte er sich mit Jory und Gagnière. So blieb die Sache unter Kumpeln, niemand würde darüber reden.
Wochen waren vergangen, es war Dezember und schrecklich kalt. Obwohl ihnen am Tage vor der Hochzeit kaum noch fünfunddreißig Francs blieben, sagten sie sich, daß sie die Trauzeugen nicht einfach mit einem Händedruck wegschicken konnten; und da sie eine große Wirtschaft bei sich zu Hause vermeiden wollten, beschlossen sie, ihnen ein Mittagessen in einem kleinen Restaurant am Boulevard de Clichy anzubieten. Dann konnte jeder nach Hause gehen.
Als Christine am Morgen einen Kragen an ein graues Wollkleid nähte, das sie aus weiblicher Eitelkeit für diese Gelegenheit angefertigt hatte, kam Claude, der bereits im Überzieher dastand und vor Langerweile von einem Bein auf das andere trat, auf den Gedanken, Mahoudeau unter dem Vorwand abzuholen, dieser Kerl sei imstande, die Verabredung zu vergessen. Seit dem Herbst wohnte der Bildhauer auf dem Montmartre in einem kleinen Atelier in der Rue des Tilleuls; das war die Folge einer Reihe von Dramen, die eine völlige Umwälzung in sein Dasein gebracht hatten: zunächst war er, weil er keine Miete bezahlte, aus dem früheren Obstladen, den er in der Rue du ChercheMidi bewohnte, rausgesetzt worden; dann war es zu einem endgültigen Bruch mit Chaîne gekommen, den die Verzweiflung, daß er von seinen Pinseleien nicht leben konnte, in ein geschäftliches Abenteuer gestürzt hatte und der nun die Jahrmärkte in der unmittelbaren Umgebung von Paris bereiste und dort auf Rechnung einer Witwe ein Glücksrad betrieb; und schließlich war Mathilde, nachdem der Kräuterladen verkauft und der Kräuterkrämer verstorben war, jäh verschwunden, war zweifellos entführt worden und wurde nun in einer verschwiegenen Wohnung von einem Herrn, der so seine Leidenschaften hatte, verborgen gehalten. Da lebte er nun also allein in doppeltem Elend, aß, wenn er mal Fassadenverzierungen abzuschaben hatte oder irgendeiner Gestalt von einem glücklicheren Kollegen den letzten Schliff zu geben hatte.
»Hör mal, ich werde ihn abholen, das ist sicherer«, sagte Claude zu Christine. »Wir haben noch zwei Stunden Zeit … Und wenn die anderen kommen, laß sie warten. Wir gehen dann alle zusammen hinunter zum Standesamt.«
Draußen beschleunigte Claude seinen Schritt in der schneidenden Kälte, die Eiszapfen an seinen Schnurrbart hängte. Mahoudeaus Atelier lag hinten in einem alten Häuserblock; und er mußte durch eine Reihe von Gärten gehen, die weiß bereift und von einer nackten, starren Friedhofstraurigkeit waren. Von weitem erkannte er die Tür an der riesigen Gipsstatue der Weinleserin, Mahoudeaus einstigem Erfolg im Salon, die man im engen Erdgeschoß nicht hatte unterbringen können: dort verkam sie nun vollends, sah aus wie ein Haufen
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