Das Werk - 14
Jahre warten, ehe man ihn in die Schule schickte, wo die Lehrer besser verstehen würden, ihn zum Arbeiten zu bewegen.
Christine begann schließlich Angst zu bekommen angesichts des drohenden Elends. Das Leben in Paris war teuer mit diesem heranwachsenden Kind, und das Monatsende ließ endlos auf sich warten, obwohl sie an allem sparte. Als sichere Einkünfte hatte das Ehepaar nur die tausend Francs Jahresgeld; und wie sollten sie leben von fünfzig Francs im Monat, die ihnen noch blieben, weil sie die vierhundert Francs Miete für das Jahr im voraus bezahlen mußten? Zunächst hatten sie sich dadurch aus der Verlegenheit ziehen können, daß ein paar Bilder verkauft wurden, denn Claude hatte einen Kunstliebhaber wiedergefunden, einen früheren Bekannten von Gagnière, einen jener verabscheuten Bürger, die trotz der wunderlichen Gewohnheiten, in die sie sich einschließen, eine glühende Künstlerseele haben; dieser hier, Herr Hue, ein ehemaliger Bürovorsteher, war unglücklicherweise nicht reich genug, um immerzu etwas kaufen zu können, und er konnte nur jammern über die Verblendung des Publikums, das wieder einmal ein Genie verhungern ließ; denn er, der überzeugt war, dem gleich beim ersten kurzen Hinsehen die Gnade zuteil geworden war, hatte sich die krassesten Werke ausgesucht, die er neben seine Delacroix hängte und ihnen dabei eine gleiche Zukunft voraussagte. Das schlimmste war, daß sich Vater Malgras gerade zurückgezogen hatte, nachdem er es zu einigem Geld gebracht: zu einem sehr bescheidenen Wohlstand übrigens, zu einem Vermögen, das etwa zehntausend Francs Jahreszinsen abwarf, die er, als vorsichtiger Mann, in einem Häuschen in Les BoisColombes zu verzehren gedachte. Man mußte ihn hören, wie er über den berühmten Naudet redete, voller Geringschätzung für die Millionen, die dieser Spekulant scheffelte, Millionen, die dem noch auf die Nase fallen würden, wie er sagte. Claude glückte es nach einer Begegnung lediglich, ihm ein letztes Gemälde zu verkaufen, für ihn selber, eine seiner Aktstudien aus dem Atelier Boutin, die prachtvolle Bauchstudie, die der frühere Händler nicht hatte wiedersehen können, ohne daß er im Herzen wieder jugendliche Leidenschaft empfand. Das Elend stand also nahe bevor, der Absatz hörte auf, anstatt sich auszuweiten, eine beunruhigende Legende entstand nach und nach um diese ständig vom Salon zurückgewiesene Malerei, ganz abgesehen davon, daß eine so unvollkommene und so umstürzlerische Kunst, in der das verstörte Auge keine der anerkannten konventionellen Formen wiederfand, ausgereicht hätte, um das Geld abzuschrecken.
Als der Maler eines Abends nicht wußte, wie er eine Farbenrechnung begleichen sollte, hatte er ausgerufen, er würde eher das Kapital seiner Jahreszinsen verbrauchen, als sich zur gemeinen Herstellung gängiger Bilder herablassen. Aber Christine hatte sich diesem äußersten Mittel heftig widersetzt: sie würde ihre Ausgaben noch mehr einschränken, schließlich sei ihr alles lieber als dieser Wahnsinn, der sie dann ohne Brot auf die Straße werfen würde.
Nach der Ablehnung seines dritten Gemäldes wurde der Sommer in diesem Jahr so wunderbar, daß Claude neue Kraft daraus zu schöpfen schien. Nicht eine Wolke, klare Tage über der riesigen Geschäftigkeit von Paris. Er hatte wieder angefangen, durch die Stadt zu laufen, gewillt, ein tolles Ding zu suchen, wie er es ausdrückte: etwas Ungeheures, Entscheidendes, er wußte nicht genau was. Und bis zum September fand er nichts, begeisterte sich eine Woche lang für ein Sujet und erklärte dann, daß das noch nicht das Richtige sei. Er lebte in einer ständigen Erregung, immer auf der Lauer, stets bereit, die Hand auf diese Verwirklichung seines Traums zu legen, die immer wieder entfloh. Im Grunde verbargen sich hinter seinem Realistenstarrsinn die abergläubischen Vorstellungen einer nervösen Frau, er glaubte an komplizierte geheime Einflüsse: alles würde davon abhängen, wie der gewählte Horizont war, verhängnisvoll oder glücklich.
An einem der letzten schönen Tage hatte Claude nachmittags Christine mitgenommen; den kleinen Jacques überließen sie der Obhut der Concierge, einer alten biederen Frau, wie sie es gewöhnlich taten, wenn sie zusammen fortgingen. Er empfand ein plötzliches Verlangen spazierenzugehen, ein Bedürfnis, mit Christine einst geliebte Ecken wiederzusehen, ein Bedürfnis, hinter dem sich die unbestimmte Hoffnung verbarg, daß sie ihm Glück bringen
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