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Das Werk - 14

Das Werk - 14

Titel: Das Werk - 14 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Émile Zola
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werde. Und sie gingen hinunter bis zur Pont LouisPhilippe, blieben eine Viertelstunde auf dem Quai des Ormes schweigend an der Brüstung stehen und betrachteten auf der anderen Seite der Seine das alte Hôtel de Martoy, wo sie sich einst geliebt hatten. Immer noch ohne ein Wort zu sagen, gingen sie dann wieder ihren alten Weg, den sie so viele Male gegangen waren; sie wanderten unter den Platanen die Quais entlang und sahen bei jedem Schritt, wie die Vergangenheit auferstand; und alles entrollte sich wieder vor ihnen: die Brücken mit dem Schnitzwerk ihrer Bögen über dem Satin des Wassers, die im Schatten liegende CitéInsel, die von den gelb schimmernden Türmen der NotreDameKathedrale überragt wurde, die riesige Krümmung des rechten SeineUfers, die von Sonne ertränkt und durch den verlorenen Schattenriß des Pavillon de Flore abgeschlossen wurde, und die breiten Avenuen, die Gebäude auf beiden Ufern und das Leben auf dem Fluß, die Waschschiffe, die Bäder, die Flußkähne. Wie einst folgte ihnen das untergehende Gestirn, das über die Dächer der fernen Häuser rollte und hinter der Kuppel des Institut de France wie ein Halbmond wirkte: ein blendender Sonnenuntergang, wie sie keinen schöneren erlebt hatten, ein langsames Herabsteigen der Sonne inmitten von Wölkchen, die sich in purpurnes Geflecht verwandelten, dessen sämtliche Maschen Goldwogen ausströmten. Aber von dieser Vergangenheit, die da heraufbeschworen wurde, ging nur eine unbezwingliche Schwermut aus, das Gefühl des ewigen Entfliehens, der Eindruck der Unmöglichkeit, je wieder dahin zurückzukehren und sie noch einmal zu durchleben. Diese uralten Steine blieben kalt, dieses ständige Strömen unter den Brücken, dieses Wasser, das da geflossen war, schien ihnen etwas von ihnen selbst hinweggespült zu haben, den Zauber des ersten Begehrens, die Freude der Hoffnung. Nun, da sie einander gehörten, genossen sie jenes schlichte Glück nicht mehr, den warmen Druck ihrer Arme zu fühlen, während sie sacht dahinschritten, gleichsam eingehüllt in das ungeheure Leben von Paris.
    An der Pont des SaintsPères blieb Claude verzweifelt stehen. Er hatte Christines Arm losgelassen, er hatte sich zu der Spitze der CitéInsel umgedreht. Sie spürte das Loslösen, das sich da vollzog, sie wurde sehr traurig; und als sie sah, wie er gedankenverloren verweilte, wollte sie ihn wieder zurückholen.
    »Mein Freund, laß uns nach Hause gehen, es ist Zeit … Jacques wartet auf uns, du weißt doch.«
    Aber er ging bis zur Mitte der Brücke vor. Sie mußte ihm folgen. Abermals verharrte er reglos, starrte immer dorthin, auf die ewig verankerte Insel, auf diese Wiege und dieses Herz von Paris, in dem seit Jahrhunderten alles Blut seiner Adern pulste unter dem unaufhörlichen Andrängen der Vororte, die in die Ebene einfielen. Eine Flamme war ihm ins Gesicht gestiegen, seine Augen entbrannten, er machte schließlich eine weit ausholende Gebärde:
    »Sieh dir das an! Sieh dir das an!«
    Zunächst lag da im Vordergrund unterhalb von ihnen der Hafen SaintNicolas94, die niedrigen Kojen der Schiffahrtbüros, die große, gepflasterte Böschung, die zum Fluß herabreichte, auf der man vor Sandhaufen, Tonnen und Säcken kaum treten konnte und die von einer Reihe nicht entladener Lastkähne gesäumt wurde, auf denen ein Volk von Schauerleuten wimmelte und die der riesige Arm eines gußeisernen Krans überragte, während auf der anderen Seite des Wassers eine Flußbadeanstalt, in der es heiter zuging beim schallenden Lachen der letzten Badenden der Jahreszeit, die grauen Zeltbahnen im Wind flattern ließ, die ihr als Dach dienten. In der Mitte dann wölbte sich die leere Fläche der Seine, wirkte grünlich mit den kleinen tanzenden Wellen, die wie weiße, blaue und rosa Peitschenhiebe aufzuckten. Und die Pont des Arts bildete den Hintergrund, war sehr hoch mit ihren Eisenverstrebungen, war schwerelos wie schwarze Spitze und belebt vom ewigen Kommen und Gehen der Fußgänger, als ritten Ameisen auf der dünnen Linie ihrer Fahrbahn. Und darunter floß die Seine weiter in die Ferne; man sah die alten Bögen der PontNeuf, gebräunt vom Rost der Steine; ein Ausblick tat sich links auf zur Ile SaintLouis, eine spiegelnde Flucht in blendender perspektivischer Verjüngung; und der andere Flußarm machte eine kurze Biegung, die Schleuse bei der Münze schien mit ihrem Gischtbalken die Sicht zu versperren. Über die Pont Neuf zogen mit der mechanischen Regelmäßigkeit von

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