Das Werk - 14
unermeßlich …« Mit dem Bleistift deutete er kräftig die Umrisse von dem an, wovon er gerade sprach, und machte immer wieder dieselben hastigen Striche, zerfetzte das Papier, so fest drückte er auf.
Um ihm eine Freude zu machen, beugte sie sich vor, tat so, als interessiere sie sich lebhaft für seine Erläuterungen. Aber die Skizze zeigte bald ein solches Gewirr von Linien, war bald mit einem so großen Durcheinander kurz angedeuteter Einzelheiten überladen, daß sie nichts mehr unterscheiden konnte.
»Du kannst doch folgen, nicht wahr?«
»Ja, ja, sehr schön!«
»Endlich habe ich den Hintergrund, die beiden Ausblicke auf den Fluß mit den Quais, in der Mitte die triumphale Cité, die sich vom Himmel abhebt … Ah, dieser Hintergrund, was für ein Wunder! Man sieht es alle Tage, man geht vorbei, ohne davor stehenzubleiben, aber es durchdringt einen, die Bewunderung staut sich an; und eines schönen Tages kommt er zum Vorschein. Nichts auf der Welt ist größer, das ist Paris selber, das glorreich daliegt im Sonnenschein … Sag mal! Bin ich dumm gewesen, daß ich daran nicht gedacht habe! Wie viele Male habe ich mir das angesehen, ohne es zu sehen! Ich mußte darauf stoßen nach dem Spaziergang längs der Quais … Und du erinnerst dich, auf dieser Seite war Schlagschatten, die Sonne prallte hier drauf, die Türme sind dort, der Dachreiter der SainteChapelle wird immer schlanker, hat die Schwerelosigkeit einer Pfeilspitze, die in den Himmel sticht … Nein, das ist weiter rechts, warte, ich werde es dir zeigen …« Er fing wieder von vorn an, er wurde nicht müde, machte die Zeichnung immer wieder von neuem, erging sich in tausend kleinen charakteristischen Einzelheiten, die sein Malerauge behalten hatte: an dieser Stelle da das flirrende rote Schild eines weit weg liegenden Ladens; näher dran dann ein grünliches Stück Seine, auf der Ölflecke zu schwimmen schienen; und der feine Farbton eines Baumes, und die Tonleiter der Grauschattierungen für die Fassaden, und die Leuchtkraft des Himmels.
Willfährig stimmte Christine ihm stets zu, gab sich Mühe, entzückt zu sein.
Aber Jacques vergaß sich wiederum. Nachdem er lange still vor seinem Buch gesessen hatte, in den Anblick eines Bildes versunken, auf dem eine schwarze Katze zu sehen war, hatte er angefangen, Worte, die sich ihm von selbst zusammengefügt hatten, leise vor sich hin zu singen: »Oh, nette Katz, oh, böse Katz! Oh, nette und böse Katze!« und das unendlich so weiter, immer im selben kläglichen Ton.
Durch dieses Gesumme gereizt, hatte Claude zuerst nicht begriffen, was ihn beim Reden so nervös machte. Dann war ihm der hartnäckig immerzu wiederholte Satz des Kindes klar in die Ohren gedrungen.
»Willst du wohl endlich aufhören, uns mit deiner Katze den Nerv zu töten!« schrie er wütend.
»Jacques, sei still, wenn dein Vater redet!« sagte Christine.
»Nein, tatsächlich, er wird blöde … Sieh dir bloß seinen Kopf an, wenn der nicht aussieht wie bei einem Idioten! Das ist zum Verzweifeln … Antworte doch, was willst du denn sagen mit deiner Katze, die nett ist und die böse ist?«
Der Kleine wurde bleich, und mit seinem dicken Kopf wackelnd, antwortete er mit verdutzter Miene:
»Weiß nich!«
Und da sein Vater und seine Mutter einander entmutigt ansahen, schmiegte er eine Wange an sein aufgeschlagenes Buch, er rührte sich nicht mehr, redete nicht mehr, und seine Augen waren weit aufgerissen.
Es war schon spät am Abend. Christine wollte den Kleinen zu Bett bringen, aber Claude hatte bereits wieder mit seinen Erläuterungen angefangen.
Nun verkündete er, er werde gleich morgen hingehen, eine Skizze nach der Natur machen, nur um seine Ideen festzuhalten. Dabei warf er hin, daß er sich eine kleine Feldstaffelei kaufen werde; von dieser Anschaffung träumte er schon seit Monaten. Er bestand darauf, kam auf das Geld zu sprechen.
Christine wurde verlegen und gestand schließlich ein, daß der letzte Sou schon am Morgen verzehrt worden war, daß sie für das Abendessen ihr Seidenkleid versetzt hatte.
Und da bekam er plötzlich Gewissensbisse, eine Anwandlung von Zärtlichkeit, er umarmte sie und bat sie um Verzeihung, daß er sich bei Tisch beklagt habe. Sie müsse ihm verzeihen, er hätte Vater und Mutter umgebracht, wie er immer wieder sagte, wenn diese verdammte Malerei ihn an Herz und Nieren packte. Übrigens brachte die Pfandleihe ihn nur zum Lachen, er würde es schon mit Not und Elend aufnehmen.
»Ich sage dir,
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