Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Werk - 14

Das Werk - 14

Titel: Das Werk - 14 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Émile Zola
Vom Netzwerk:
ersten Erwachen des Fleisches Leben bekam. Und er drang in ihren Schoß, ihre Schenkel schlugen gegen seine, während der Kopf, der abgesprungen war, auf den Fußboden rollte. Die Erschütterung war so heftig, daß er umgerissen wurde, bis zur Wand purzelte; und ohne diesen Frauenrumpf loszulassen, blieb er benommen daneben liegen.
    »Ach, verdammter Kerl!« rief Claude, der ihn für tot hielt, immer wieder voller Wut.
    Mühsam richtete sich Mahoudeau auf den Knien auf, und er brach in lautes Schluchzen aus. Er hatte sich beim Hinstürzen lediglich das Gesicht zerschunden. Blut floß ihm von einer Wange und mischte sich mit seinen Tränen.
    »Was für ein Hundeelend, das kann ich dir sagen! Soll man da nicht ins Wasser gehen, wenn man sich nicht mehr zwei Dreikanteisen kaufen kann! – Und da liegt sie nun, da liegt sie nun …« Er schluchzte noch heftiger, das war ein Jammern vor Todesangst, der Schmerz eines Liebenden, der angesichts des verstümmelten Leichnams seiner zärtlichen Liebe aufheult. Mit seinen fahrigen Händen berührte er die rings um ihn verstreuten Glieder, den Kopf, den Rumpf, die gebrochenen Arme; vor allem aber der eingedrückte Busen, diese Brust, die platt geworden war, als habe man an ihr wegen einer gräßlichen Krankheit eine Operation vorgenommen, benahm ihm den Atem, ließ seine Hände immer wieder dorthin zurückkehren, um die Wunde zu untersuchen, um nach dem Spalt zu forschen, durch den das Leben entflohen war; und seine blutigen Tränen rannen und machten rote Flecken auf den Verletzungen.
    »Hilf mir doch«, stammelte er. »Man kann sie doch nicht so liegenlassen.«
    Die Rührung hatte Claude angesteckt, auch seine Augen wurden feucht bei seinem brüderlichen Mitempfinden als Künstler. Er beeilte sich, aber nachdem der Bildhauer erst seine Hilfe verlangt hatte, wollte er nun allein diese Trümmer auflesen, als fürchte er, jeder andere würde roh mit ihnen umgehen. Langsam kroch er auf den Knien umher, hob ein Stück nach dem anderen auf, bettete sie dicht aneinander auf ein Brett. Bald war die Gestalt wieder vollständig, so wie eine jener Selbstmörderinnen aus Liebe, die sich von einem Gebäude in die Tiefe stürzen und fürs Leichenschauhaus komisch und jammervoll wieder zusammengeflickt werden. Er war vor ihr wieder auf seinen Hintern gesunken, er wandte kein Auge von ihr, vergaß alles rings um sich bei diesem herzzerreißenden Anschauen. Jedoch sein Schluchzen ließ nach, er sagte schließlich mit einem tiefen Seufzer:
    »Ich werde sie als Liegende machen, was soll ich denn sonst tun! – Ach, mein armes Prachtweib, ich hatte sie mit soviel Mühe hingestellt, und ich fand sie so groß!«
    Aber auf einmal wurde Claude unruhig. Und was wurde mit seiner Hochzeit?
    Mahoudeau mußte sich umziehen. Da er keinen anderen Gehrock hatte, mußte er sich mit einem Jackett begnügen.
    Als dann die Gestalt mit Wäschestücken zugedeckt war wie eine Tote, über die man das Laken gezogen hat, rannten beide los. Der Ofen bullerte, das Tauen erfüllte das Atelier mit Wasser, und Schlamm rann über die staubigen Gipsabdrücke.
    In der Rue de Douai war nur noch der kleine Jacques, den man in der Obhut der Concierge zurückgelassen hatte. Des Wartens müde, war Christine soeben mit den drei anderen Trauzeugen losgegangen, in der Annahme, es liege ein Mißverständnis vor: vielleicht hatte Claude zu ihr gesagt, er werde zusammen mit Mahoudeau direkt hingehen. Und diese beiden machten sich rasch wieder auf den Weg, holten die junge Frau und die Kumpels erst in der Rue Drouot vor dem Standesamt ein. Sie gingen alle zusammen nach oben und wurden wegen der Verspätung von dem diensttuenden Bürodiener sehr ungnädig empfangen. Übrigens wurde die Trauung in ein paar Minuten in einem völlig leeren Raum hingepfuscht. Der Bürgermeister nuschelte vor sich hin, die beiden Brautleute sagten mit knapper Stimme das sakramentale »Ja!«, während die Zeugen baß erstaunt waren über die Geschmacklosigkeit in der Ausstattung des Raums. Draußen nahm Claude Christines Arm, und das war alles.
    Es ging sich gut in diesem klaren Frost. Die Schar wanderte still zu Fuß zurück, kletterte die Rue des Martyrs hoch, um sich in das Restaurant am Boulevard de Clichy zu begeben. Ein kleines Zimmer war reserviert, das Essen verlief sehr freundschaftlich; und es fiel kein Wort über die einfache Formalität, die man soeben erfüllt hatte, man sprach die ganze Zeit von etwas anderem, als sei dies eine ihrer üblichen

Weitere Kostenlose Bücher