Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Werk - 14

Das Werk - 14

Titel: Das Werk - 14 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Émile Zola
Vom Netzwerk:
wieder hinaufgegangen, hingelockt, wie besessen.
    Jetzt schwebte hier glutheiße Stickluft, wie immer um fünf Uhr, wenn der Menschenhaufe, erschöpft vom Rundendrehen in den Sälen, vom Koller befallen wie ins Wildgehege losgelassene. Rudel, die Fassung verlor und sich erdrückte, ohne den Ausgang zu finden. Nachdem es am Morgen kühl gewesen war, hatte dann die Hitze der Leiber, der Geruch des Atems die Luft stickig gemacht und mit trockenem Dunst erfüllt; und der von den Fußböden aufgewirbelte Staub stieg als feiner Nebel in dieser Ausdünstung menschlicher Spreu auf. Leute führten sich noch immer gegenseitig vor Bilder, deren Sujets allein das Publikum beeindruckten und festhielten. Man ging fort, man kam zurück, man stampfte endlos umher. Besonders die Frauen bestanden starrköpfig darauf, nicht zu weichen, bis zum letzten Augenblick dazubleiben, in dem die Aufseher sie dann hinausschieben würden, sobald es anfing, sechs Uhr zu schlagen. Dicke Damen waren gestrandet. Andere, die nicht einmal ein winziges Eckchen entdeckt hatten, um sich zu setzen, stützten sich schwer auf ihre Schirme, sanken fast in Ohnmacht und verharrten trotzdem eigensinnig. Unruhig und flehend spähten alle Augen nach den besetzten Bänkchen. Und alle litten unter der furchtbaren Strapaze, die diese Tausende von Köpfen peitschte, die die Beine weich machte, das Gesicht verzerrte, die Stirn mit Migräne furchte, mit dieser besonderen Migräne der Salons, die vom unausgesetzten Einknicken des Nackens nach hinten und dem blind machenden Tanz der Farben herrührte.
    Allein die beiden ordengeschmückten Herren, die schon seit Mittag auf dem Rundsofa saßen und sich ihre Geschichten erzählten, plauderten noch immer seelenruhig, waren hundert Meilen weit weg. Vielleicht waren sie hierher zurückgekommen; vielleicht hatten sie sich nicht von der Stelle gerührt.
    »Und so sind Sie dann«, sagte der Dicke, »einfach hineingegangen und haben so getan, als verstünden Sie nicht?«
    »Genau«, antwortete der Dünne. »Ich habe die beiden angesehen, und ich habe meinen Hut gezogen … Na, das ist doch klar.«
    »Erstaunlich, Sie sind erstaunlich, mein lieber Freund!«
    Claude hörte nur noch das dumpfe Schlagen seines Herzens, sah nur »Das tote Kind« hoch oben, dicht an der Decke. Er ließ es nicht aus den Augen. Er stand unter diesem Bann, der ihn wider seinen Willen hier festnagelte. Speiübel vor Müdigkeit, kreiste die Menge um ihn; man trampelte ihm auf die Füße, er wurde angestoßen, mitgeschwemmt; und wie eine leblose Sache ließ er sich treiben, mitziehen, wurde wieder auf dieselbe Stelle geschoben, ohne das Haupt zu senken, ohne zu wissen, was unten vor sich ging, lebte nur noch da oben bei seinem Werk, dem kleinen Jacques, der im Tod ganz aufgequollen war. Zwei dicke Tränen, die reglos zwischen Claudes Lidern hingen, hinderten ihn, klar zu sehen. Ihm war, als würde er niemals die Zeit haben, genug zu sehen.
    Da tat Sandoz in seinem tiefen Mitleid so, als habe er seinen alten Freund nicht bemerkt; er wollte ihn allein lassen am Grabe seines verfehlten Lebens. Von neuem zog die Schar der Kameraden vorüber, Fagerolles und Jory; und gerade hatte Mahoudeau Sandoz gefragt, wo denn Claudes Bild hinge. Sandoz log, es sei nicht hier, brachte ihn weg, führte ihn fort. Alle gingen.
    Am Abend bekam Christine von Claude nur kurze Worte zu hören: alles gehe gut, das Publikum sei nicht verärgert, das Bild wirke gut, vielleicht hänge es ein bißchen hoch. Und trotz dieser kühlen Gelassenheit war er so seltsam, daß sie Angst bekam.
    Als sie nach dem Abendessen die Teller in die Küche getragen hatte und zurückkam, saß Claude nicht mehr am Tisch. Er hatte ein Fenster geöffnet, das auf ein unbebautes Gelände ging, dort stand er und beugte sich so weit hinaus, daß sie ihn nicht sehen konnte. Erschrocken stürzte sie herzu und zog ihn ungestüm an seinem Jackett zurück.
    »Claude! Claude! Was machst du denn da?«
    Er hatte sich umgedreht, leichenblaß, mit irrem Blick.
    »Ich sehe hinaus.«
    Aber mit ihren zitternden Händen schloß sie das Fenster, und solche Angst erfüllte sie danach, daß sie die Nacht nicht schlafen konnte.
     

Kapitel XI
    Gleich am nächsten Morgen hatte sich Claude wieder an sein Werk gemacht, und in drückender Ruhe verstrichen die Tage, verging der Sommer. Er hatte eine Arbeit gefunden, Blumenbildchen für England, deren Erlös für das tägliche Brot ausreichte. Alle Stunden, die ihm noch verblieben, widmete

Weitere Kostenlose Bücher