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Das Werk - 14

Das Werk - 14

Titel: Das Werk - 14 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Émile Zola
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Zeit, dir mal die Hand zu drücken … Claude hat geschäftlich in der Gegend zu tun. Du weißt ja, daß er früher in Bennecourt gewohnt hat. Und da ich mitgefahren bin, ist uns der Gedanke gekommen, einen Abstecher hierher zu machen. Aber wir werden erwartet, mach dir keine Umstände.«
    Erleichtert tat Dubuche nun so, als wolle er sie zurückhalten. Zum Teufel noch mal, sie würden doch wohl eine Stunde erübrigen können!
    Und alle drei plauderten.
    Claude betrachtete Dubuche und wunderte sich, daß der so gealtert war: das aufgedunsene Gesicht war runzlig, von einem rotgeäderten Gelb, als sei Galle über die Haut gespritzt, während das Haar und der Schnurrbart bereits ergrauten. Außerdem schien der Körper zusammengesackt zu sein, eine bittere Müdigkeit lastete auf jeder Gebärde. Die Niederlagen in der Welt des Geldes waten also ebenso schwer zu ertragen wie die in der Welt der Kunst? Die Stimme, der Blick, alles an diesem Besiegten erzählte von der schändlichen Abhängigkeit, in der er lebte, vom Bankrott seiner Zukunft, den man ihm ins Gesicht schleuderte, von der ständigen Beschuldigung, er habe in den Ehevertrag eine Begabung eingesetzt, die er gar nicht hatte, von dem Geld, das er heute der Familie stahl, indem er aß, Kleidungsstücke trug, Taschengeld brauchte, von den ständigen Almosen schließlich, die man ihm wie einem gemeinen Strolch gab, den man nicht loswerden konnte.
    »Wartet auf mich!« sagte Dubuche. »Ich habe noch fünf Minuten mit meiner süßen Kleinen zu tun, und dann gehen wir ins Haus.«
    Mit der unendlichen Vorsicht einer Mutter zog er die kleine Alice sanft aus dem Wagen, hob sie an das Hängereck; und Koseworte flüsternd, brachte er sie zum Lachen, machte er ihr Mut und ließ sie zwei Minuten am Reck hängen, damit sich ihre Muskeln entwickelten, aber er behielt die Arme ausgebreitet und folgte jeder Bewegung, weil er fürchtete, sie werde zerschellen, wenn ihre zerbrechlichen wächsernen Hände vor Erschöpfung losließen. Alice sagte nichts, sie hatte große blasse Augen, war trotz ihres Grauens vor dieser Übung brav und folgsam und von einer solch erbarmungswürdigen Schwerelosigkeit, daß sich nicht einmal die Stricke strafften, so schwerelos wie eines jener dürftigen Vögelchen, die von den Zweigen fallen, ohne sie dabei zum Wippen zu bringen.
    In diesem Augenblick verlor Dubuche, der einen kurzen Blick zu Gaston hinübergeworfen hatte, schier den Kopf, als er bemerkte, daß die Decke heruntergerutscht war und die Beine des Knaben unbedeckt ließ.
    »Mein Gott, mein Gott! Da wird er sich gleich erkälten in diesem Gras! Und ich kann mich nicht wegrühren! – Gaston, mein Süßer! Alle Tage ist es dasselbe: du wartest, bis ich mit deiner Schwester beschäftigt bin … Sandoz, deck ihn doch wieder zu, um Gottes willen! – Ach, danke, schlag die Decke noch ein, hab keine Angst!«
    Das also hatte seine schöne Ehe aus dem Fleisch von seinem Fleisch gemacht, diese beiden unfertigen taumeligen Wesen, die beim geringsten Lufthauch zu sterben drohten wie Fliegen. Von dem erheirateten Vermögen blieb ihm nur das: der ständige Kummer, mit ansehen zu müssen, wie sein Fleisch und Blut verkam und schmerzte in diesem bejammernswerten Sohn, in dieser bejammernswerten Tochter, mit denen sein Geschlecht bald verkümmern würde, das der schlimmsten Entartung durch Skrofeln und Schwindsucht verfallen war. Und dieser große egoistische Bursche hatte sich als ein wunderbarer Vater herausgestellt, ein von einer einzigen Leidenschaft entflammtes Herz. Er hatte nur noch den Willen, seinen Kindern zum Leben zu verhelfen, er kämpfte Stunde um Stunde, rettete sie jeden Morgen neu und war jeden Abend voller Angst, sie zu verlieren. Sie allein waren nun noch für ihn vorhanden in seinem verpfuschten Dasein, in dem bitteren Gram über die beleidigenden Vorwürfe seines Schwiegervaters, in den mürrischen Tagen und eiskalten Nächten, die ihm seine traurige Frau bereitete; und er kämpfte verbissen, er brachte sie erst richtig zur Welt durch ein ständiges Wunder an Zärtlichkeit.
    »Da, meine Süße, das langt, nicht wahr? Du wirst sehen, wie groß und schön du wirst!« Er setzte Alice wieder in den Wagen zurück, er nahm Gaston, der immer noch in die Decke gewickelt war, auf einen Arm; und als seine Freunde ihm helfen wollten, lehnte er das ab und schob den Wagen mit dem kleinen Mädchen mit seiner freien Hand. »Danke, ich bin das gewohnt. Ach, die armen Kleinen, sie sind nicht schwer …

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