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Das Werk - 14

Das Werk - 14

Titel: Das Werk - 14 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Émile Zola
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Bäumen wahrzunehmen, weil er nur seine fixe Idee im Schädel hatte, und zwar mit einer solchen Wahnvorstellung, daß ihm zuweilen war, als rage die Spitze der CitéInsel aus den weiten Stoppelfeldern und rufe ihn. Jedoch Sandoz’ Vorschlag ließ Erinnerungen in ihm wach werden; und sanfte Wehmut überkam ihn, er antwortete:
    »Ja, das ist richtig, gehen wir uns mal umsehen.«
    Aber je weiter er längs der Uferböschung dahinging, um so mehr empörte er sich vor Schmerz. Er erkannte die Gegend kaum wieder. Man hatte eine Brücke gebaut, um Bonnières mit Bennecourt zu verbinden: eine Brücke, großer Gott, an Stelle jener alten, an ihrer Kette entlangknarrenden Fähre, deren die Strömung durchschneidender schwarzer Farbton so interessant war! Außerdem hatte der Staudamm, der weiter stromab in PortVillez errichtet worden war, den Wasserspiegel des Flusses steigen lassen, die meisten Inseln waren überschwemmt, die kleinen Flußarme gingen in die Breite. Keine hübschen Plätzchen mehr, keine fließenden Gäßchen mehr, um sich darin zu verirren! Eine Verunstaltung, daß man am liebsten alle Wasserbauingenieure erdrosseln möchte!
    »Sieh mal da! Dieses Weidengebüsch, das da links noch aus dem Wasser herausragt, das ist Le Barreux, die Insel, zu der wir gerudert sind, um dort im Gras zu liegen und zu plaudern, du entsinnst dich doch? – Ach, diese Elenden!«
    Sandoz, der nicht mit ansehen konnte, das ein Baum gefällt wurde, ohne daß er dem Holzfäller mit der Faust drohte, wurde blaß, in derselben verzweifelten Wut darüber, daß man sich erdreistet hatte, die Natur zu verschandeln.
    Als sich Claude dann seiner früheren Bleibe näherte, verstummte er und biß die Zähne zusammen. Man hatte das Haus an Stadtleute verkauft, da war jetzt ein Gittertor, gegen das er sein Gesicht preßte. Die Rosensträucher waren abgestorben, die Aprikosenbäume waren abgestorben, der sehr saubere Garten mit seinen schmalen Wegen, seinen mit Buchsbaum eingefaßten Blumen und Gemüsebeeten spiegelte sich in einer großen verzinnten Glaskugel, die in seiner Mitte auf einem Pfahl steckte; und das frisch getünchte Haus, dessen Ecken und Einfassungen aus falschen Hausteinen bunt angepinselt waren, stand linkisch da im Sonntagsstaat eines bäuerlichen Emporkömmlings, worüber der Maler außer sich geriet. Nein, nein, es war nichts mehr da von ihm, nichts von Christine, nichts von ihrer großen Jugendliebe! Er wollte weiter nachsehen, er ging hinter dem Haus hinauf, suchte das Eichenwäldchen, dieses Fleckchen Grün, darin sie das lebendige Beben ihrer ersten Umarmung zurückgelassen hatten; aber das Wäldchen war gestorben, gestorben mit allem übrigen, gefällt, verkauft, verbrannt. Da hob er verwünschend die Faust, er warf seinen Kummer über diese ganze Flur, die so verändert war, in der er nicht eine Spur wiederfand von ihrem Dasein zu zweit. Ein paar Jahre genügten also, um die Stätte auszulöschen, wo man gearbeitet, geliebt und gelitten hatte? Wozu diese vergebliche Aufregung, wenn der Wind hinter dem ausschreitenden Menschen die Spur seiner Schritte wegfegt und verweht? Er hatte deutlich gespürt, daß er nicht hätte zurückkommen sollen, denn die Vergangenheit ist nur der Friedhof unserer Illusionen, man kann sich zwischen den steinernen Grabeinfassungen nur die Beine brechen.
    »Bloß fort von hier!« rief er. »Bloß fort von hier! Das ist ja blöd, sich so das Herz schwer zu machen!«
    Auf der neuen Brücke versuchte Sandoz ihn zu beruhigen, indem er ihm ein Motiv zeigte, das es damals noch nicht gegeben hatte, das lavagleiche Strömen der breiter gewordenen Seine, die sich, bis zu den Ufern randvoll, in erhabener Trägheit dahinwälzte. Aber dieses Wasser interessierte Claude nicht mehr. Er stellte nur eine einzige Betrachtung an: das war dasselbe Wasser, das durch Paris geflossen, das gegen die alten Quais der CitéInsel geplätschert war; und von da an war er gerührt über dieses Wasser, er neigte sich einen Augenblick vor, er glaubte, die glorreichen Spiegelbilder der Türme von NotreDame und des nadelspitzen Dachreiters der SainteChapelle zu erblicken, die die Strömung dem Meer zutrug.
    Die beiden Freunde verfehlten den Dreiuhrzug. Es war eine Qual, noch zwei reichliche Stunden in dieser Gegend zu verbringen, die sie so schwer bedrückte. Glücklicherweise hatten sie zu Hause Bescheid gesagt, daß sie mit einem Abendzug heimkommen würden, falls sie aufgehalten werden sollten. Deshalb beschlossen sie, wie

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