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Das Werk - 14

Das Werk - 14

Titel: Das Werk - 14 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Émile Zola
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Junggesellen in einem Restaurant am Place du Havre zu Abend zu essen, um so zu versuchen, wie einst beim Nachtisch plaudernd, sich etwas zu erholen. Acht Uhr schlug es, als sie sich zu Tisch setzten.
    Als Claude den Bahnhof verließ und die Füße wieder auf das Pariser Pflaster setzte, hatte er aufgehört, sich nervös zu bewegen, war wieder ein Mann, der sich endlich zu Hause fühlte. Und er hörte mit kühler gedankenversunkener Miene, die er nun beibehielt, den geschwätzigen Reden zu, mit denen Sandoz ihn aufzuheitern suchte.
    Er ließ vor Claude Dinge auffahren wie vor einer Geliebten; die er benommen machen wollte: feine, pikante Gerichte, berauschende Weine. Aber die Heiterkeit wollte und wollte sich nicht einstellen, Sandoz selber wurde schließlich düster. Diese undankbare Flur, dieses so sehr geliebte und vergeßliche Bennecourt, wo sie nicht einem Stein begegnet waren, der die Erinnerung an sie bewahrt hatte, brachten in ihm alle Hoffnungen auf Unsterblichkeit ins Wanken. Wenn die Dinge, die Ewigkeit haben, so rasch vergaßen, konnte man sich dann auch nur eine Stunde auf das Gedächtnis der Menschen verlassen?
    »Siehst du, Alter, dabei bricht mir mitunter der Angstschweiß aus … Hast du jemals daran gedacht, daß die Nachwelt vielleicht nicht die unfehlbare Rechtsprecherin ist, von der wir träumen? Man tröstet sich darüber hinweg, daß man ungerecht behandelt worden ist, daß man verleugnet worden ist, weil man auf die Gerechtigkeit der kommenden Jahrhunderte rechnet, so wie der Gläubige, der die Greuel dieser Erde in dem festen Glauben an ein anderes Leben erträgt, in dem jeder so behandelt wird, wie er es verdient. Und wenn es kein anderes Paradies für den Künstler mehr gibt als für den Katholiken, wenn sich die künftigen Generationen ebenso wie die zeitgenössischen irren, wenn sie das Mißverstehen fortsetzen, wenn sie den starken Werken die kleinen liebenswürdigen Dummheiten vorziehen! – Ach, was für ein Schwindel, was? Was für ein Sträflingsdasein, festgenagelt an die Arbeit, um eines Trugbildes willen! – Paß auf, das ist gut möglich nach alledem. Es gibt geheiligte Gegenstände der Bewunderung, für die ich keinen roten Heller geben würde. So hat der klassische Unterricht zum Beispiel alles entstellt, hat uns als Genies fehlerlose seichte Kerle aufgezwungen, denen man die freien Temperamente vorziehen kann, die ganz anderes hervorbringen und einzig von den Gebildeten erkannt werden. Die Unsterblichkeit wäre also nur die spießige Mittelmäßigkeit derer, die man uns in den Schädel rammt, wenn wir noch nicht die Kraft haben, uns zu wehren … Nein, nein, man darf sich diese Dinge gar nicht ausmalen, mir schaudert davor! Würde ich denn den Mut zu meiner Arbeit behalten, würde ich aufrecht bleiben in dem Hohngeschrei, wenn ich nicht mehr die tröstliche Illusion hätte, daß ich eines Tages doch geliebt werde?«
    Claude hatte ihm niedergeschlagen zugehört. Dann machte er eine Gebärde, die bittere Gleichgültigkeit ausdrückte.
    »Ach was! Was macht das schon aus? Es gibt nichts … Wir sind noch verrückter als die Dummköpfe, die sich wegen einer Frau umbringen. Wenn die Erde einst im Weltraum wie eine trockene Nuß zerplatzt, werden unsere Werke nicht ein Atom zu ihrem Staub hinzufügen.«
    »Das stimmt durchaus«, sagte Sandoz ganz blaß. »Wozu das Nichts ausfüllen wollen? – Und wenn man bedenkt, daß wir das wissen und daß unser Stolz verbissen daran festhält.«
    Sie verließen das Restaurant, streiften ziellos durch die Straßen, strandeten von neuem hinten in einem Café. Sie philosophierten, sie waren bei den Erinnerungen an ihre Kindheit angelangt, die ihr Herz vollends in Traurigkeit ertränkten. Es schlug ein Uhr nachts, als sie sich entschlossen, nach Hause zu gehen.
    Aber Sandoz sagte, er wolle Claude bis zur Rue Tourlaque begleiten. Die Augustnacht war prachtvoll, lau, sternenübersät. Und da sie einen Umweg machten, wieder durch das Quartier de l’Europe108 hinaufgingen, kamen sie vor dem ehemaligen Café Baudequin am Boulevard des Batignolles vorbei. Es hatte dreimal den Besitzer gewechselt; das Gastzimmer war nicht mehr dasselbe, war neu gestrichen, anders eingerichtet, mit zwei Billards rechts; und andere Schichten von Gästen hatten sich darin abgelöst, hatten einander so gut zugedeckt, daß die früheren Schichten verschwunden waren wie versunkene Völker. Jedoch die Neugier, die Rührung über alle toten Dinge, die sie soeben zusammen wieder

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