Das Werk - 14
Alle Augenblicke hätten ihn Lastwagen oder Möbelwagen beinahe überfahren, da ihn ein Gedränge zwang, vom Bürgersteig herunterzugehen. Doch er hatte seinen Spaß an der Straße mit dem Durcheinander ihrer regellos aneinandergereihten Häuser und den flachen, mit Firmenschildern bis zu den Dachrinnen buntgescheckten, von schmalen Fenstern durchlöcherten Fassaden, hinter denen man die Pariser Heimarbeit auf vollen Touren laufen hörte. An einer der schmälsten Stellen hielt ihn ein kleiner Zeitungsladen auf: da befand sich zwischen einem Frisör und einem Kaldaunenhändler eine Auslage dummer Stiche, bei denen sich die Süßlichkeit schmalziger Lieder mit Kasernenstubenzoten mischte. Vor die Bilder hingepflanzt, träumte ein großer blasset Junge, und zwei Bengel stießen sich grinsend an. Claude hätte sie am liebsten alle drei geohrfeigt, aber er überquerte schleunigst die Straße, denn Fagerolles’ Haus lag gerade gegenüber, ein altes, düsteres Gebäude, das aus der Reihe der anderen vorsprang und mit Schlammspritzern aus der Gosse wie mit Fliegendreck besprenkelt war. Und da ein Omnibus ankam, hatte er gerade noch die Zeit, auf den Bürgersteig zu springen, der hier zu einem einfachen Bordstein zusammengeschrumpft war: die Räder streiften ihm leicht die Brust, er wurde bis zu den Knien pitschnaß. Herr Fagerolles senior, der Fabrikant von Kunstgegenständen aus Zink, hatte seine Werkstatt im Erdgeschoß; und da er die beiden großen hellen Räume im ersten Stock für sein Musterlager brauchte, bewohnte er eine kleine, finstere Hofwohnung, in der es dumpfig war wie in einem Keller. Hier war sein Sohn Henri herangewachsen, als echtes Gewächs des Pariser Asphalts, an der Kante jenes von den Rädern weggefressenen, von den Wassern der Gosse durchnäßten Bordsteins, gegenüber vom Bilderladen, vom Kaldaunenhändler und vom Frisör. Zunächst hatte ihn sein Vater zum Ornamentenzeichner in der eigenen Werkstatt gemacht. Als sich dann herausstellte, daß der Bengel nach Höherem strebte, sich ans Malen heranwagte und von der Ecole des Beaux Arts sprach, hatte es Streitereien, Ohrfeigen, eine Reihe von Zerwürfnissen und Aussöhnungen gegeben. Obwohl Henri erste Erfolge errungen hatte, verfuhr der Fabrikant von Kunstgegenständen aus Zink, der sich damit abgefunden hatte, daß er ihm seine Freiheit lassen mußte, heute noch streng mit ihm, behandelte ihn als einen Burschen, der sein Leben verpfuschte.
Nachdem Claude sich abgeklopft hatte, schlüpfte er in die Toreinfahrt des Hauses, ein Gewölbe, das tief nach hinten reichte und sich zum Hof, auf dem grünliches Licht und ein schaler, muffiger Geruch wie auf dem Grunde eines Brunnens herrschte, klaffend auftat. Die Treppe führte draußen im Freien unter einem Regendach nach oben, eine breite Treppe mit einem alten, vom Rost zerfressenen Geländer. Und als der Maler vor dem Lager im ersten Stock vorbeiging, gewahrte er durch eine Glastür Herrn Fagerolles, der eben seine Muster überprüfte. Da Claude höflich sein wollte, trat er ein, trotz des Ekels, den er als Künstler vor all diesem bronzefarben angemalten Zink, vor dieser ganzen scheußlichen und verlogenen Niedlichkeit des Talmis empfand.
»Guten Tag, Herr Fagerolles … Ist Henri noch da?«
Der Fabrikant, ein dicker, bleicher Mann, erhob sich inmitten seiner Straußhalter, seiner Schenkkrüge und seiner Statuetten. In der Hand hielt er ein neues Thermometermodell, eine hockende Jongleuse, die auf ihrer Nase das leichte Glasröhrchen balancierte.
»Henri ist nicht zum Mittagessen nach Hause gekommen«, antwortete er frostig.
Dieser Empfang verwirrte den jungen Mann.
»Ach so, er ist nicht nach Hause gekommen … Entschuldigen Sie bitte. Guten Tag, Herr Fagerolles.«
»Guten Tag.«
Draußen fluchte Claude zwischen den Zähnen. Ausgemachtes Pech, auch Fagerolles entschlüpfte ihm heute. Er ärgerte sich jetzt, daß er gekommen war und sich für diese alte, malerische Straße interessiert hatte, er war wütend über seinen Hang zur Romantik, dieses Krebsgeschwür, das trotz allem immer wieder in ihm nachwuchs: diese falsche Vorstellung, die er mitunter wie einen Balken quer im Schädel spürte, war vielleicht sein Übel. Und als er abermals auf die Quais stieß, kam ihm der Gedanke, nach Hause zu gehen und nachzusehen, ob sein Gemälde wirklich so schlecht sei. Aber bei dem bloßen Gedanken daran zitterte er am ganzen Leibe. Sein Atelier kam ihm vor wie eine Stätte des Grauens, wo er nicht mehr
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