Das Werk der Teufelin
Und wie Ihr ebenfalls seht, habe ich auch meinen Flüchtling wieder getroffen. Allerdings scheint er mir ein wenig –ähm – angeschlagen zu sein.«
Ewald hatte sich zwar weit genug erholt, um sich anzuziehen und die Kammer zu verlassen, doch er hockte zusammengesunken am Tisch und bot ein Bild des Jammers. Seine roten Haare standen stachelig vom Kopf ab, sein sommersprossiges Gesicht war bleich, fast grünlich, und unter den Augen lagen dunkle Ringe. Doch das alles war nicht nur auf die Nachwirkungen von Trines Zungenlöser zurückzuführen, er wirkte auch geistig völlig zerschlagen.
»Ewald, ist alles mit Euch in Ordnung?«
Almut setzte sich neben ihn und legte ihm die Hand auf den Arm. Er schüttelte nur den Kopf.
»Pater Ivo, habt Ihr ihm etwa zugesetzt? Ich habe ihm versprochen, dass Ihr ihn nicht quälen werdet!«
»Macht mir keine Vorwürfe, Begine!
Ich
habe den jungen Mann nicht zum Trinken verführt.
Ich
habe ihn nicht einer hochnotpeinlichen Befragung unterzogen.
Ich
habe ihn nicht der Komplizenschaft an einem Mord verdächtigt.«
»Ich auch nicht«, antwortete Almut scharf. »Himmel, Ewald, was habt Ihr Pater Ivo erzählt?«
Ewald richtete sich ein wenig auf und wehrte sich nur mäßig gegen die Anschuldigung.
»Nur was Ihr gefragt habt. Aber ich muss Euch dankbar sein, Frau Almut. Ihr habt mich dazu gebracht, endlich klar zu sehen!«
»Was seht Ihr jetzt klarer? Was in der Kirche geschah?«
»Nein, das nicht. Ich werde nichts weiter dazu sagen. Aber ich werde jetzt zurück in das Kloster gehen. Dort liegt meine Zukunft.«
»Oh, wirklich?«
»Ich werde die Gelübde ablegen, sobald ich deren für würdig befunden werde.«
»Dieser Wandel verblüfft mich, Ewald. Meister Krudener, was hat Pater Ivo mit ihm angestellt?«
Der Apotheker, der den grünen Papagei gefüttert hatte, drehte sich um und antwortete: »Er hat, das muss ich ehrlicherweise zugeben, nichts geäußert oder getan, was diesen Gesinnungswechsel hervorgerufen hat. Ewald kam bereits mit dieser Haltung hier unten an, bevor Pater Ivo uns beehrte.«
»Begine, es scheint, Ihr habt den Wandel bewirkt. Verratet mir, womit!«
Almut legte die Ellenbogen auf den Tisch und faltete die Hände. Sie suchte nach den passenden Worten, um ihre nächtlichen Überlegungen darzulegen. Aber ihre Zunge war mal wieder schneller als sie.
»Ewald, Ihr verdächtigt Johanna, den Domherren ermordet zu haben, ist es nicht so?«
»W…was? W…woher wisst Ihr…?«
»Von Johanna? Ich reimte es mir zusammen. Sie ist jetzt bei uns, wie Ihr nur zu gut wisst, Ewald. Und von ihr hörte ich, sie habe letzten Sonntagnachmittag einen – wie sie sagte – alten Freund besucht. Das werdet wohl Ihr gewesen sein, nicht wahr?«
Er nickte nur unglücklich, und seine Augen hefteten sich fest auf die Maserung des blank gescheuerten Tisches.
»Ihr kennt euch schon länger, vermute ich mal. Die Badestube habt Ihr nicht nur einmal besucht.«
Kopfschütteln.
»Ihr habt Euch in sie verliebt, und darum wolltet Ihr die Gelübde nicht ablegen.«
Wortloses Nicken.
»Aber jetzt ist Euch bewusst geworden, dass sie eine Hure ist und womöglich sogar eine Mörderin. Euer Herz ist gebrochen, und darum wollt Ihr die Gelübde doch ablegen.«
Noch ein wortloses Nicken.
»Junger Tölpel!«, raunze Pater Ivo ihn an. »Der allerletzte Grund, warum man sich zum Klosterleben entschließt, ist ein gebrochenes Herz!«
»Weshalb geht man denn ins Kloster, Pater Ivo?« Meister Krudeners krächzende Stimme troff vor Verachtung. »Aus Berufung?«
»Vor allem deswegen, Meister Krudener. Und aus mancherlei anderen schwerwiegenden Gründen.«
»Als Flucht vor Konsequenzen, nicht wahr, Pater Ivo?«
Almut sah, wie das Gesicht des Benediktiners düster wurde und sich die Linien der Bitterkeit tiefer um seine Augen eingruben. Wieder lag ihr die Frage auf der Zunge, warum der Mann vor Jahren die Kutte nun wirklich gewählt hatte, aber sie biss sich auf die Unterlippe, um zu schweigen. Inzwischen ahnte sie, dass sich ein Geheimnis darum rankte, und zwar eines, das die Ursache für die Feindschaft zwischen ihm und dem Apotheker ausmachte. Aber hier und an dieser Stelle half es ihr nicht weiter, danach zu forschen.
»Es ist völlig richtig, Ewald, Enttäuschung und Liebeskummer sind kein Grund, um eine solche lebenslange Verpflichtung auf sich zu nehmen. Ganz abgesehen davon ist es überhaupt nicht erwiesen, dass Johanna den Domherren umgebracht hat. Vergesst nicht, es war noch ein weiterer
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