Das Wesen der Dinge und der Liebe: Roman (German Edition)
sagen: Pass auf, dass du diesen Mann nicht verlierst. Du würdest es bereuen.«
Wieder folgte ein langes Schweigen. Wieder das unüberhörbare Schlürfen von Hanneke.
»Er wird ein Atelier brauchen«, sagte Henry schließlich. »Druckerpressen und solche Dinge.«
»Er kann die Remise mit mir teilen«, erklärte Alma. »Ich habe jede Menge Platz für ihn.«
Es war also entschieden.
Henry humpelte zu Bett. Zurück blieben Alma und Hanneke, die sich einander musterten. Hanneke schwieg, doch ihr Gesichtsausdruck gefiel Alma gar nicht.
» Wat? «, sagte Alma schließlich.
»Wat voor spelletje speel je?« , fragte Hanneke.
»Ich weiß nicht, wovon du redest«, entgegnete Alma. »Ich spiele kein Spiel.«
Die alte Wirtschafterin zuckte die Achseln. »Wenn du darauf bestehst«, sagte sie in geflissentlich betontem Englisch. »Du bist die Hausherrin.«
Damit stand Hanneke auf, schlürfte die letzten Tropfen ihres Kaffees und begab sich in ihre Gemächer im Kellergeschoss – ungeachtet des Durcheinanders im Salon, dessen Beseitigung sie anderen überließ.
Kapitel 15
Sie wurden unzertrennlich, Alma und Ambrose. Bald verbrachten sie beinahe jede Sekunde miteinander. Alma wies Hanneke an, Ambrose aus dem Gästeflügel unverzüglich in Prudence’ altes Zimmer übersiedeln zu lassen, das sich im zweiten Geschoss des Hauses direkt gegenüber von Almas Zimmer befand. Hanneke protestierte gegen das Eindringen eines Fremden in den privaten Wohnbereich der Familie (es sei nicht schicklich, sagte sie, berge Gefahren, und vor allem: Wir kennen ihn nicht ), doch Alma wies ihre Einwände zurück, und der Umzug wurde vollzogen. In der Remise schuf sie in der früheren kleinen Sattelkammer gleich neben ihrem Studierzimmer eigenhändig Platz für Ambrose. Zwei Wochen später traf seine erste Druckerpresse ein. Und Alma kaufte ihm einen schönen Sekretär mit Sortierfächern und Schubkästen für seine Zeichnungen.
»Noch nie habe ich einen eigenen Schreibtisch besessen«, erklärte ihr Ambrose. »Er verleiht mir ein Gefühl von Bedeutung, das mir bisher gänzlich fremd war. Ich fühle mich wie ein General.«
Eine einzige Tür trennte die beiden Arbeitszimmer, und diese Tür wurde niemals geschlossen. Den ganzen Tag spazierten Alma und Ambrose zwischen ihren Zimmern hin und her, begutachteten ihre jeweiligen Fortschritte, inspizierten gemeinsam ein interessantes Fundstück in einem Sammelgefäß oder auf dem Objektträger eines Mikroskops. Gemeinsam verzehrten sie zum Frühstück Buttertoast, veranstalteten rustikale Picknicks in freier Natur und blieben abends lange wach, um Henry bei der Korrespondenz zu helfen oder in der Bibliothek die Schätze von White Acre zu bewundern. An Sonntagen ließ sich Alma von Ambrose in den öden, geistlosen Gottesdienst der schwedisch-lutherischen Kirche begleiten, wo er pflichterfüllt an ihrer Seite Gebete hersagte.
Es war unerheblich, ob sie miteinander sprachen oder miteinander schwiegen; wo der eine war, da war der andere nicht weit.
Wenn Alma draußen ihre Moosstudien betrieb, streckte sich Ambrose unweit der Felsen behaglich im Gras aus und las. Und wenn Ambrose im Orchideenhaus zeichnete, zog sich Alma einen Stuhl heran und arbeitete in seiner Nähe an ihrer Korrespondenz. Im Orchideenhaus hatte sie früher kaum Zeit verbracht, doch mit Ambroses Ankunft war dieses Gewächshaus der atemberaubendste Ort von ganz White Acre geworden. Es besaß Hunderte von Glasscheiben, die Ambrose zwei Wochen lang Stück für Stück so blank geputzt hatte, dass die Sonne nun in leuchtenden, gleißenden Lichtsäulen einfiel. Er scheuerte und bohnerte die Böden, bis sie glänzten. Ja, er polierte sogar – so erstaunlich dies klingen mag – sämtliche Orchideenblätter mit Bananenschalen, bis auch sie glänzten und funkelten wie ein von treuen Dienern geputztes Teeservice.
»Und was kommt als Nächstes, Mr Pike?«, neckte ihn Alma. »Sollen wir allen Farnen von White Acre die Wedel auskämmen?«
»Ich glaube, die Farne hätten nichts dagegen einzuwenden.«
Seit Ambrose neuen Glanz ins Orchideenhaus gebracht hatte, war etwas Kurioses geschehen: Verglichen mit dem Orchideenhaus mutete ganz White Acre plötzlich trist und reichlich heruntergekommen an. Als hätte jemand einen alten, trüb gewordenen Spiegel an einer einzigen Stelle so blank geputzt, dass er nun erst richtig schmutzig aussah. Bis dahin hatte es niemand bemerkt, doch mit einem Mal war es unübersehbar, und Alma konnte nun endlich einer
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