Das Wesen der Dinge und der Liebe: Roman (German Edition)
Schlägereien und Hahnenkämpfe.«
»Na, dann auf nach Guatemala!«, grölte Henry.
Alma hatte ihren Vater seit Jahren nicht mehr so ausgelassen erlebt.
Ambrose Pike lachte. »Reisen Sie ruhig nach Guatemala, Mr Whittaker. Ich wage zu behaupten, dass man Sie dort willkommen heißen wird. Ich für meinen Teil habe freilich mit jedweder Art von Dschungel abgeschlossen. Und für heute Abend werde ich mich nun ohne weitere Umstände in mein Zimmer begeben. Wenn ich schon einmal die Gelegenheit habe, in einem anständigen Bett zu nächtigen, sollte ich nicht so töricht sein, sie zu vergeuden. Ich wünsche Ihnen beiden eine gute Nacht und bitte Ihre Haushälterin nochmals aufrichtig um Vergebung.«
Nach Mr Pikes Abschied saßen Alma und ihr Vater eine Zeitlang schweigend da. Henry starrte auf Ambroses Blütenzeichnung, und Alma konnte förmlich hören, was in seinem Kopf vor sich ging. Sie kannte ihren Vater einfach zu gut. Während sie noch darauf wartete, dass er es aussprach – sie wusste genau, was es sein würde –, überlegte sie bereits, wie sie dagegen vorgehen sollte.
Unterdessen kehrte Hanneke mit einem Tablett zurück, auf dem der Tee für Henry und Alma sowie ihr eigener Kaffee stand. Mit einem grummelnden Seufzer stellte sie das Tablett ab und ließ sich gegenüber Henry in einen Sessel plumpsen. Die Wirtschafterin schenkte sich ein und legte ihren alten, gichtkranken Knöchel auf einen kunstvoll bestickten französischen Schemel. Sie überließ es Henry und Alma, sich selbst zu bedienen. In Fragen des Protokolls hatte sich im Laufe der Jahre ein lockerer Umgang eingestellt – ein wenig zu locker womöglich.
»Wir sollten ihn nach Tahiti schicken«, sagte Henry schließlich, nach fünfminütigem Schweigen. »Wir übertragen ihm die Leitung der Vanilleplantage.«
So, nun war es heraus. Genau das, womit Alma gerechnet hatte.
»Eine interessante Idee«, antwortete sie.
Selbstverständlich würde sie nicht zulassen, dass ihr Vater Mr Pike in die Südsee entsandte. Noch nie in ihrem Leben war sie sich einer Sache so sicher gewesen. Zunächst einmal würde der Künstler selbst diese Mission keinesfalls begrüßen. Was hatte er eben noch gesagt? Er habe abgeschlossen mit jedweder Form von Dschungel. Er wünschte nicht mehr zu reisen. Er war ermattet und heimwehkrank. Dabei besaß er nicht einmal ein Heim. Der Mann brauchte ein Zuhause. Er brauchte Ruhe. Er brauchte einen Ort, um zu arbeiten, einen Ort, um sich den Gemälden und Drucken zu widmen, für die er bestimmt war, einen Ort, wo er leben und sich dabei zuhören könnte.
Und außerdem … brauchte Alma Mr Pike. Sie empfand das wilde, unbändige Bedürfnis, diesen Menschen für immer auf White Acre zu halten. Wie konnte sie so etwas beschließen, wo sie ihn kaum einen Tag kannte! Doch seit Ambrose Pike gekommen war, fühlte sich Alma um zehn Jahre verjüngt. Es war der strahlendste, lichteste Tag gewesen, den sie seit Jahrzehnten, wenn nicht gar seit ihrer Kindheit erlebt hatte, und Ambrose Pike war der Quell dieser Erleuchtung.
Alma musste plötzlich daran denken, wie sie als Kind im Wald ein Fuchsjunges gefunden hatte, verwaist und geradezu herzerschütternd klein. Sie hatte es heimgebracht und ihre Eltern angefleht, es behalten zu dürfen. Es war die glückliche Zeit vor Prudence gewesen, jene Zeit, da Alma ungestüm durchs Universum wirbeln durfte. Während Henry beinahe der Versuchung erlegen wäre, hatte Beatrix dem Plan ein Ende gesetzt. Wilde Geschöpfe gehören in die Wildnis . Der kleine Fuchs wurde ihr weggenommen und ward nie wieder gesehen.
Nun, diesen Fuchs würde Alma behalten. Und Beatrix, die es hätte verhindern können, war nicht mehr da.
»Gleichwohl denke ich, dass es ein Fehler wäre, Vater«, fing Alma vorsichtig an. »Es wäre Verschwendung, einen Mann wie Ambrose Pike nach Polynesien zu schicken. Eine Vanilleplantage kann jeder leiten. Du hast doch seine Erklärungen gehört. Es ist ganz einfach. Er hat sogar schon eine Anleitung gezeichnet. Schick die Zeichnungen an Dick Yancey und sag ihm, er soll jemanden einstellen, der das Befruchtungsprogramm durchführt. Ich glaube, dass es für Mr Pike hier auf White Acre eine bessere Verwendung gibt.«
»Und die wäre?«, fragte Henry.
»Du hast seine Arbeiten noch nicht gesehen, Vater. George Hawkes hält Mr Pike für den besten Lithographen unserer Generation.«
»Und wofür brauche ich einen Lithographen?«
»Vielleicht ist es an der Zeit, ein Buch über die botanischen
Weitere Kostenlose Bücher