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Das Wesen der Dinge und der Liebe: Roman (German Edition)

Das Wesen der Dinge und der Liebe: Roman (German Edition)

Titel: Das Wesen der Dinge und der Liebe: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elizabeth Gilbert
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wäre.
    Sie umrundeten die Spitze von Florida und legten in New Orleans an, um die Maultiere abzuliefern. Niemand weinte ihnen eine Träne nach. In New Orleans erblickte Alma den erstaunlichsten dichten Nebel über dem Pontchartrain-See. Sie sah Baumwollballen und Zuckerfässer, die am Kai darauf warteten, verladen zu werden. Sie sah lange Reihen von Dampfern, so weit das Auge reichte, die bereitstanden, den Mississippi hinaufzufahren. In New Orleans erwiesen sich ihre Französischkenntnisse als vorteilhaft, auch wenn der dortige Akzent sie verwirrte. Sie bewunderte die kleinen Häuser mit ihren Gärten voller Muscheln und gestutzter Büsche, und sie war wie geblendet von den Frauen und ihren aufwendigen Kleidern. Gern hätte sie sich dort noch länger umgesehen, doch schon bald rief man sie an Bord zurück.
    Nun segelten sie an der mexikanischen Küste entlang gen Süden. An Bord brach ein schweres Fieber aus, das kaum einen verschonte. Es war zwar ein Arzt auf dem Schiff, doch der taugte nicht viel, und so verabreichte bald Alma Abführ- und Brechmittel aus ihrem eigenen kostbaren Vorrat. Sie verstand sich nicht allzu gut auf das Pflegen von Kranken, doch ihre pharmazeutischen Kenntnisse waren beachtlich, und ihr Beistand brachte ihr ein Grüppchen von Bewunderern ein.
    Es dauerte nicht lange, da erkrankte Alma selbst und musste die Koje hüten. Das Fieber bescherte ihr trügerische Träume und glasklare Angstvisionen. Sie konnte die Finger nicht von ihrer Scheide lassen und schrak dann hoch, geschüttelt von Schmerz und Lust zugleich. Ihre Träume waren ständig von Ambrose erfüllt. Bis dahin hatte sie tapfer versucht, nicht an ihn zu denken, doch das Fieber schwächte die Festung ihrer Gedanken, und die Erinnerung an ihn verschaffte sich gewaltsam Einlass – jedoch in scheußlich entstellter Form. Im Traum sah sie ihn in der Badewanne, so nackt, wie sie ihn an jenem Nachmittag gesehen hatte, doch nun stand sein Penis wunderschön aufrecht, er grinste sie lüstern an und befahl ihr, daran zu saugen, bis sie kaum noch Luft bekam. In anderen Träumen sah sie Ambrose in der Badewanne ertrinken und erwachte in heller Panik, überzeugt, sie habe ihn umgebracht. Eines Nachts hörte sie seine Stimme flüstern: »Dann bist nun also du das Kind und ich die Mutter«, und sie fuhr schreiend und um sich schlagend hoch. Doch es war niemand da. Er hatte Deutsch gesprochen. Warum Deutsch? Was hatte das zu bedeuten? Den Rest der Nacht lag Alma wach und versuchte verzweifelt, das deutsche Wort »Mutter« zu verstehen, das in der Alchemie auch den Schmelztiegel bezeichnet. Sie konnte den Sinn dieses Traums nicht begreifen, doch er lastete auf ihr wie ein Fluch.
    Ihr kamen erste Zweifel an dieser Reise.
    Am Tag nach Weihnachten erlag einer der Seeleute dem Fieber. Er wurde in Segeltuch gewickelt, mit einer Kanonenkugel beschwert und ohne viel Aufhebens im Meer versenkt. Die Männer nahmen seinen Tod ohne sichtbare Anzeichen von Trauer hin und verschacherten seine Habseligkeiten untereinander. Schon am Abend war es, als hätte es ihn nie gegeben. Alma malte sich aus, wie diese Gesellen ihre, Almas, Habseligkeiten untereinander verschacherten. Was sie wohl von Ambroses Zeichnungen halten würden? Wer konnte das schon sagen? Womöglich besaß eine solche Fundgrube sodomitischer Sinnesfreuden unter diesen Männern einen gewissen Wert. Schließlich fuhren die unterschiedlichsten Arten von Männern zur See. Das wusste Alma nur zu gut.
    Sie erholte sich von ihrer Krankheit. Ein gnädiger Wind brachte sie nach Rio de Janeiro, wo Alma portugiesische Sklavenschiffe auf dem Weg nach Norden, Richtung Kuba, sah. Sie sah wunderschöne Strände, wo die Fischer ihr Leben auf Flößen riskierten, die kaum stabiler wirkten als das Dach eines Hühnerstalls. Sie sah gewaltige Fächerpalmen, größer als alle ihre Artgenossen in den Gewächshäusern von White Acre, und wünschte sich so inständig, dass es schmerzte, sie Ambrose zeigen zu können. Es war ihr unmöglich, ihn aus ihren Gedanken zu verbannen. Ob er diese Palmen wohl auch gesehen hatte, als er hier Station machte?
    Um sich abzulenken, unternahm sie unermüdliche Spaziergänge. Sie sah Frauen, die keine Hauben trugen und auf offener Straße Zigarren rauchten. Sie sah Flüchtlinge, Kaufleute, abgerissene Kreolen und würdevolle Schwarze, Halbwilde und elegante Mestizen. Sie sah Männer, die Papageien und Eidechsen zum Verzehr anboten. Alma tat sich ausgiebig an Orangen, Zitronen und Limonen

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