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Das Wesen der Dinge und der Liebe: Roman (German Edition)

Das Wesen der Dinge und der Liebe: Roman (German Edition)

Titel: Das Wesen der Dinge und der Liebe: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elizabeth Gilbert
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anzubauen, und Henry, der dies wusste, nahm es mit eiskalter Genugtuung zur Kenntnis. Woche für Woche fielen im Indien des zur Neige gehenden achtzehnten Jahrhunderts zahllose britische Untertanen der Malaria zum Opfer, weil es dort keine gute Jesuitenrinde gab, während die Holländer in unverschämt guter Verfassung ihre Erfolge feierten.
    Henry bewunderte die Holländer und kam gut mit ihnen zurecht. Er verstand sie intuitiv, diese fleißigen, unermüdlichen, geradlinigen, Kanäle schaufelnden, Münzen zählenden Calvinisten, als deren oberstes Gebot seit dem sechzehnten Jahrhundert der Handel galt und die sich im Wissen, dass Gott ihnen Reichtum wünschte, zeit ihres Lebens einer gesegneten Nachtruhe erfreuten. Als Land von Bankiers, Kaufleuten und Gärtnern blickten die Holländer (wie auch Henry) in eine auf feste Zusagen gegründete, von Gewinnen vergoldete Zukunft und hielten die Welt mit stolzen Zinsraten im Klammergriff. Sie verurteilten ihn nicht, obwohl sein Benehmen unhöflich oder sein Auftreten aggressiv war. Henry Whittaker und die Holländer verdankten einander einen geradezu erstaunlichen Wohlstand. So gab es in Holland tatsächlich Leute, die Henry den »Prinzen von Peru« nannten.
    Man schrieb das Jahr1791 , und Henry war ein wohlhabender Mann von einunddreißig Jahren. Es wurde Zeit für ihn, die restlichen Jahre seines Lebens sorgfältig zu planen. Zunächst einmal hatte er nun die Möglichkeit, ein eigenes Unternehmen auf den Weg zu bringen, unabhängig von seinen holländischen Partnern, und er prüfte sorgfältig alle Optionen. Mineralien oder Edelsteine faszinierten ihn nicht, weil er sich damit nicht auskannte. Dasselbe galt für Textilien, den Schiffsbau und das Verlagswesen. Dann sollten es also Pflanzen sein. Botanik. Doch welche Art von Pflanzen? Henry verspürte keinerlei Verlangen, in den Gewürzhandel einzusteigen, auch wenn die Gewinnchancen dort glänzend waren. Zu viele Nationen mischten bereits mit, und der Schutz der eigenen Erzeugnisse vor Piraten und rivalisierenden Flotten verursachte inzwischen so hohe Kosten, dass die Gewinne dahinschwanden, soweit Henry dies beurteilen konnte. Auch den Zucker- und Baumwollhandel schätzte er nicht: zu tückisch und kostspielig und zudem maßgeblich in die Sklaverei verstrickt. Henry wollte mit der Sklaverei nichts zu tun haben. Nicht weil er sie für moralisch verabscheuenswert hielt, sondern für unwirtschaftlich, unübersichtlich und teuer, und weil er darüber hinaus der Meinung war, dass sie von den unangenehmsten Zwischenhändlern der Welt beherrscht wurde. Sein wahres Interesse gehörte den Heilpflanzen – ein Markt, aus dem noch niemand in vollem Umfang Kapital geschlagen hatte.
    Heilpflanzen und Pharmazie, das war es.
    Als Nächstes hatte er zu entscheiden, wo er leben wollte. Auf Java besaß er ein schönes Anwesen mit hundert Dienern, doch das dortige Klima hatte ihm im Laufe der Jahre zugesetzt und ihm Tropenkrankheiten beschert, die seine Gesundheit immer wieder in Aufruhr brachten. Er brauchte ein Zuhause in gemäßigteren Zonen. Doch hätte er sich eher einen Arm abgehackt, als wieder nach England zu gehen. Und das europäische Festland reizte ihn nicht: Frankreich war voller nervtötender Menschen, Spanien korrupt und instabil, Russland unmöglich, Italien absurd, Deutschland rigide, Portugal im Niedergang. Und Holland, das ihm so gewogen war, fand er fade und geistlos.
    Die Vereinigten Staaten von Amerika hingegen, so sein Entschluss, waren eine Möglichkeit. Henry war noch nie dort gewesen, hatte jedoch Vielversprechendes gehört. Insbesondere über Philadelphia, die quirlige Hauptstadt dieser jungen Nation. Zentral gelegen an der Ostküste des Landes, war Philadelphia, so hieß es, eine Stadt mit einem hinlänglich guten Frachthafen und unzähligen pragmatischen Quäkern, Pharmazeuten und hart arbeitenden Bauern. Man munkelte, dass es dort keine hochnäsige Aristokratie gebe (wie in Boston), keine genussfeindlichen Puritaner (wie in Connecticut) und keine selbsternannten Feudalfürsten (wie in Virginia). Gegründet hatte man die Stadt nach den vernünftigen Prinzipien der religiösen Toleranz, der freien Presse und der guten Landschaftsplanung des William Penn, eines Mannes, der in Badewannen Jungbäume herangezogen und sich seine Hauptstadt als eine große Pflanzen- und Ideenschule vorgestellt hatte. In Philadelphia war jeder willkommen, absolut jeder, außer natürlich Juden. Henry, der von alldem gehört hatte, hielt

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