Das Wesen der Dinge und der Liebe: Roman (German Edition)
es für möglich, dass Philadelphia ein weites Terrain mit unausgeschöpftem Gewinnpotential war, und nahm sich vor, diesen Ort zu seinem Vorteil zu nutzen.
Doch ehe er sich niederließ, wollte er auch mit einer Ehefrau ausgestattet sein, und zwar – schließlich war er kein Idiot – mit einer holländischen Ehefrau. Denn er wollte eine gescheite, anständige Frau, deren Leichtsinn sich auf ein mögliches Minimum beschränkte, und Holland war der Ort, wo er sie finden würde. Im Laufe der Jahre hatte sich Henry hin und wieder den Umgang mit Prostituierten gegönnt und auf seinen Besitzungen in Pengalengan sogar ein junges Mädchen aus Java zu seiner Verfügung gehabt, doch nun war es an der Zeit, sich eine passende Frau zu suchen. Er erinnerte sich an den Rat eines klugen portugiesischen Seemanns, der ihm vor Jahren erklärt hatte: »Erfolgreich und glücklich im Leben zu sein ist einfach, Henry. Such dir eine Frau, eine einzige, such sie gut aus und streich die Segel.«
Also nahm er wieder ein Schiff nach Holland und suchte sich eine. In einer raschen, wohlkalkulierten Entscheidung wählte er eine Frau aus der alten, respektablen Familie der van Devenders, die seit vielen Generationen die Kustoden des Hortus Botanicus von Amsterdam stellte. Dieser botanische Garten war im Bereich der Forschung führend in Europa und eines der ältesten Bindeglieder zwischen Botanik, Wissenschaft und Handel, und die van Devenders hatten ihn stets hervorragend geführt. Sie waren durchaus keine Aristokraten und gewiss auch nicht reich, doch Henry brauchte keine reiche Frau. Dafür waren die van Devenders in Europa tonangebend, was Bildung und Wissenschaften betraf, und das bewunderte er.
Bedauerlicherweise beruhte diese Bewunderung nicht auf Gegenseitigkeit. Jacob van Devender, der Patriarch der Familie und des Hortus Botanicus (und zudem ein Meister im Züchten von Aloen als Zierpflanzen), kannte Henry Whittaker, und er mochte ihn nicht. Er wusste, dass dieser junge Mann eine betrügerische Vorgeschichte hatte und dass er aus Profitgier Verrat am eigenen Land begangen hatte. Ein Verhalten, das Jacob van Devender nicht billigte. Jacob war zwar Niederländer und hing an seinem Geld, doch er war kein Bankier, kein Spekulant. Er bemaß den Wert eines Menschen nicht daran, wie viel Gold er angehäuft hatte.
Jacob van Devender besaß indessen eine überaus vielversprechende Tochter – zumindest in Henrys Augen. Ihr Name war Beatrix, und sie war weder unansehnlich noch hübsch, gerade recht für eine Ehefrau. Von stämmiger, flachbrüstiger Gestalt, blickte sie, als Henry sie kennenlernte, bereits einem Leben als alte, unverheiratete Jungfer entgegen. Die meisten Freier hätten Beatrix van Devenders übermäßige Bildung als abschreckend empfunden. Sie war mit fünf lebenden und zwei toten Sprachen vertraut und verfügte über botanische Fachkenntnisse, die denen eines Mannes ebenbürtig waren. Koketterie war dieser Frau durch und durch fremd. Sie schmückte keinen Salon. Das gesamte Farbspektrum ihrer Kleidung erinnerte an das Federkleid des gemeinen Haussperlings. Sie hegte einen ausgeprägten Argwohn gegen Leidenschaft, Übertreibung und Schönheit, schenkte ihr Vertrauen ausschließlich Dingen, die solide und zuverlässig waren, und verließ sich lieber auf gewonnene Lebenserfahrung als auf blinden Instinkt. Henry sah in ihr eine lebendige, stabilisierende Ladung Ballast, und genau das suchte er.
Doch was sah Beatrix in Henry? Hier stehen wir vor einem gewissen Rätsel. Henry war nicht attraktiv. Und schon gar nicht kultiviert. Um die Wahrheit zu sagen, hatte er mit seiner rötlichen Gesichtsfarbe, den großen Pranken und rauen Manieren etwas von einem Dorfschmied. Auf die meisten Menschen wirkte er weder solide noch zuverlässig. Henry Whittaker war ein temperamentvoller, impulsiver, lauter und streitlustiger Mann, der auf der ganzen Welt Feinde hatte. In den vergangenen Jahren hatte er zudem ein wenig zu trinken begonnen. Welche achtbare junge Frau hätte aus freien Stücken einen Mann dieses Charakters zum Gatten gewählt?
»Der Mann hat keine Prinzipien«, hielt Jacob van Devender seiner Tochter vor.
»Oh, Vater, da irrst du dich grundlegend«, stellte Beatrix trocken fest. »Mr Whittaker hat viele Prinzipien. Eben nur nicht die besten.«
Sicher, Henry war reich, und so wurde hier und dort die Vermutung geäußert, Beatrix wisse seinen Wohlstand vielleicht doch mehr zu schätzen, als sie vorgab. Henry beabsichtigte
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