Das Wesen der Dinge und der Liebe: Roman (German Edition)
darüber hinaus, seine Frischangetraute nach Amerika zu bringen, und vielleicht – so munkelten einige Spaßvögel – hatte sie ja einen heimlichen, schimpflichen Grund, Holland für immer zu verlassen.
Die Wahrheit war viel einfacher: Beatrix van Devender heiratete Henry Whittaker, weil ihr das gefiel, was sie in ihm sah. Sie mochte seine Zähigkeit, seine Durchtriebenheit, seine Souveränität, seine vielversprechenden Aussichten. Natürlich war er ungehobelt, doch auch sie war schließlich kein zartes Pflänzchen. Sie respektierte seine Unverblümtheit und er ihre. Sie begriff, was er von ihr wollte, und hegte das sichere Gefühl, dass sie mit ihm zurechtkommen würde, ihn vielleicht sogar ein bisschen lenken könnte. So schlossen Henry und Beatrix rasch und ohne Umschweife ihren Bund. Das einzige Wort, das ihre Verbindung wirklich traf, war ein holländischer Begriff aus dem Geschäftsleben: partenrederij – eine auf ehrlichen Absprachen beruhende Partnerschaft, in der die Gewinne von morgen Ergebnis der Zusagen von heute sind und in der beide Parteien dank ihrer Zusammenarbeit gleichermaßen zum Erfolg beitragen.
Die Eltern wandten sich von ihr ab. Genauer gesagt wandte sich Beatrix von ihnen ab. Sie waren eine strenge, unnachgiebige Familie, alle miteinander. Sie waren sich uneinig über diesen Heiratsbund, und Uneinigkeiten tendierten bei den van Devenders dazu, ewig zu währen. Nachdem sie Henry auserwählt hatte und in die Vereinigten Staaten abgereist war, korrespondierte Beatrix nie wieder mit Amsterdam. Das Letzte, was sie von ihrer Familie sah, war ihr zehnjähriger Bruder Dees, der bei der Abreise weinend an ihren Röcken hing und schrie: »Sie nehmen sie mir weg! Sie nehmen sie mir weg!« Sie löste die Finger, die ihren Kleidersaum umklammerten, ermahnte den Bruder, sich nie wieder durch öffentliche Tränen zu kompromittieren, und ging.
Beatrix nahm ihr Dienstmädchen mit nach Amerika, eine ungemein tüchtige, handfeste junge Frau namens Hanneke de Groot. Außerdem besorgte sie sich in der väterlichen Bibliothek eine Ausgabe von Robert Hookes Micrographia aus dem Jahr 1665 sowie ein kostbares Kompendium von Leonhard Fuchs’ Pflanzenbildern. Sie nähte Dutzende von Taschen in ihre Reisekleidung und füllte sie mit den seltensten Tulpenzwiebeln aus dem Hortus Botanicus, die sie in schützendes Moos packte. Auch einige Dutzend leere Geschäftsbücher nahm sie mit.
Sie plante bereits für ihre Bücherei, ihren Garten und – wie sich zeigen sollte – für ihr zukünftiges Vermögen.
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Beatrix und Henry Whittaker trafen zu Beginn des Jahres 1792 in Philadelphia ein. Die weder durch Mauern noch andere Befestigungsanlagen geschützte Stadt bestand damals aus einem belebten Hafen, ein paar Häuserzeilen von gewerblichem und politischem Interesse, einer Ansammlung von Siedler-Heimstätten und einigen schönen, neuen Anwesen. Es war ein Ort grenzenloser Möglichkeiten und ein außerordentlich fruchtbarer Boden für potentielles Wachstum. Die erste Bank der Vereinigten Staaten hatte ein Jahr zuvor aufgemacht, und ganz Pennsylvania führte damals Krieg gegen seine Wälder – einen Krieg, den die mit Äxten, Ochsen und unerhörtem Ehrgeiz ausgestatteten Bewohner gewinnen sollten. Henry kaufte für den Anfang 350 Morgen abfallende Wiesenflächen und unberührtes Waldland am Westufer des Schuylkill. Sobald er mehr Land erwerben könnte, gedachte er, diesen Besitz zu erweitern.
Ursprünglich hatte Henry vorgehabt, mit vierzig reich zu sein, doch weil er, wie man so sagte, die Pferde tüchtig angetrieben hatte, war er früher ans Ziel gelangt. Mit erst zweiunddreißig Jahren hatte er bereits erhebliche Gelder angehäuft, in Pfund, Florin, Guinee und sogar in russischen Kopeken. Und er beabsichtigte, noch reicher zu werden. Doch nun, nach seiner Ankunft in Philadelphia, war es zunächst einmal an der Zeit, seinen Reichtum gebührend zur Schau zu stellen.
Henry Whittaker gab seinem Anwesen den Namen White Acre, eine Anspielung auf seinen Familiennamen, und begann sofort mit dem Bau einer palladianischen Villa von herrschaftlichem Ausmaß, die an Schönheit alle bisherigen Privathäuser der Stadt übertraf. Es sollte ein großzügiges, gut proportioniertes Gebäude aus Stein werden, mit schönen Pavillons an der Ost- und Westseite, einem Säulenvorbau nach Süden und einer breiten Terrasse nach Norden hin. Er baute auch eine stattliche Remise, eine große Schmiede, ein etwas skurriles Torhaus sowie
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