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Das Wesen der Dinge und der Liebe: Roman (German Edition)

Das Wesen der Dinge und der Liebe: Roman (German Edition)

Titel: Das Wesen der Dinge und der Liebe: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elizabeth Gilbert
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mehrere botanische Gebäude, darunter ein frei stehendes Tropenhaus, dem später weitere folgen sollten, eine Orangerie, die der berühmten Anlage von Kew nachempfunden war, und das Fundament eines geradezu gigantischen Treibhauses. Am schlammigen Ufer des Schuylkill, wo vor fünfzig Jahren noch Indianer wilde Zwiebeln gesammelt hatten, errichtete er einen privaten Schiffsanleger, der an die Anlegestellen der alten, schönen Besitztümer entlang der Themse erinnerte.
    Zu dieser Zeit lebte man in Philadelphia noch genügsam, und Henry gestaltete seinen Besitz als dreisten Affront gegen das Prinzip der Sparsamkeit. Es sollte ein Ort pulsierender Extravaganz werden. Er hatte keine Angst vor Neidern. Er fand es sogar verflixt angenehm, beneidet zu werden, und auch verflixt lukrativ, denn der Neid lockte Menschen an. Sein Haus sollte nicht nur aus der Ferne einen stattlichen Eindruck erwecken – vom Fluss aus weithin sichtbar, thronte es vornehm auf einer Anhöhe und blickte stolz über die Stadt –, sondern auch aus der Nähe mit jedem Detail Reichtum ausstrahlen. Alle Türgriffe waren aus schimmerndem, glänzendem Messing. Die Möbel wurden von Seddon’s aus London geliefert, die Wände waren mit belgischer Tapete dekoriert, das Geschirr aus kantonesischem Porzellan, die mundgeblasenen Lampen aus Venedig, der Keller mit jamaikanischem Rum und französischem Rotwein gefüllt, und auf dem ganzen Anwesen waren Fliederbüsche gepflanzt, die zum ersten Mal im Osmanischen Reich geblüht hatten.
    Er ließ zu, dass sich Gerüchte über seinen Wohlstand ungehindert verbreiteten. Reich, wie er war, schadete es nicht, wenn ihn die Leute in ihrer Phantasie noch reicher machten. Als in der Nachbarschaft gemunkelt wurde, die Hufe von Henry Whittakers Pferden seien mit Silber beschlagen, ließ er die Leute in diesem Glauben. Selbstverständlich waren die Hufe seiner Pferde nicht mit Silber beschlagen; sie waren mit Eisen beschlagen wie alle Pferdehufe, und Henry hatte sie sogar eigenhändig beschlagen (ein Können, das er sich in Peru angeeignet hatte, an armseligen Maultieren mit nicht minder armseligen Werkzeugen). Doch warum sollte das jemand erfahren? Waren die Gerüchte nicht viel angenehmer und beeindruckender?
    Henry wusste um die Verführungskraft des Geldes, aber auch um die noch mysteriösere Verführungskraft der Macht. Er wollte, dass seine Besitztümer die Leute nicht nur faszinierten, sondern auch einschüchterten. Ludwig  XIV . pflegte Besucher durch seine Lustgärten zu führen – nicht als amüsante Zerstreuung, sondern als Demonstration von Stärke: Jeder blühende exotische Baum, jeder sprudelnde Springbrunnen, jede der unbezahlbaren griechischen Statuen diente einzig und allein dazu, eine unmissverständliche Nachricht in die Welt hinauszuposaunen, die da lautete: Es wäre unklug, mir den Krieg zu erklären! Demselben Gedanken sollte auch White Acre Ausdruck verleihen.
    Henry baute zudem unweit des Hafens von Philadelphia eine große Lagerhalle und eine Faktorei, wo Heilpflanzen aus aller Welt eintrafen: Brechwurzel, Simaruba, Rhabarber, Guajak-Rinde, Chinawurzel und Sarsaparillen. Er ging mit einem grundsoliden Pharmazeuten, einem Quäker namens James Garrick, eine Partnerschaft ein, und die beiden Männer begannen unverzüglich, Pillen, Pulver, Sirup und Salben herzustellen.
    Das Geschäft mit Garrick hatte Henry keine Sekunde zu früh in die Wege geleitet. Im Sommer des Jahres 1793 brach eine Gelbfieberepidemie über Philadelphia herein. Die Straßen waren mit Leichen übersät, verwaiste Kinder klammerten sich an ihre tot in der Gosse liegenden Mütter. Die Menschen starben paarweise, als Familien, zu Dutzenden und sonderten auf ihrem Weg zum Tod eine ekelerregende schwarze Brühe ab, die sich aus ihren Gedärmen und Kehlen ergoss. Die einheimischen Ärzte hatten beschlossen, dass es nur eine Behandlungsmethode gab, nämlich ein noch stärkeres Purgieren der Patienten durch wiederholtes Auslösen von heftigem Brechdurchfall. Das bekannteste und stärkste Purgativum der Welt war eine Pflanze namens Jalape, die Henry schon vor Ausbruch der Epidemie ballenweise aus Mexiko importiert hatte.
    Er selbst hegte den Verdacht, dass die Jalape-Behandlung reine Scharlatanerie war, und verweigerte sie sämtlichen Hausbewohnern. Er wusste, dass in der Karibik kreolische Ärzte, denen das Gelbfieber sehr viel vertrauter war als ihren hiesigen Kollegen, Patienten einer längst nicht so barbarischen Behandlung mit

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