Das Wesen der Dinge und der Liebe: Roman (German Edition)
reicher werden als alle Gentlemen dieser Welt, und irgendwann würde ihm die ganze Bagage zu Füßen liegen, alles würde ihm gehören. Henry wartete, bis Banks nicht mehr lachte. Dann geleitete er sich selbst aus dem Raum. Ohne ein weiteres Wort.
Er tauchte sofort ins Gewirr der Straßen ein und suchte sich eine Prostituierte. In einer Gasse presste er sie gegen die Wand und trieb sich mit so heftigen Stößen die Unschuld aus, dass er das Mädchen und sich selbst verletzte und sie ihn als brutalen Kerl beschimpfte. Er fand ein Wirtshaus, trank zwei Krüge Rum, schlug einem Fremden die Faust in die Magengrube, wurde hinausgeworfen und empfing, als er auf der Straße lag, einen Tritt in die Nieren. So, damit durfte nun auch dies als erledigt betrachtet werden. Alles, was er sich in den letzten acht Jahren versagt hatte, um ein respektabler Gentleman zu werden. War doch gar nicht so schwer. Eine freudlose Sache zwar, aber immerhin: erledigt und abgehakt.
Er heuerte einen Bootsführer an, der ihn nach Richmond brachte. Inzwischen war es Nacht. Ohne auch nur einen Augenblick innezuhalten, ging er an seinem elenden Elternhaus vorbei. Er würde und wollte seine Eltern nie wiedersehen. Er schlich sich in die Gärten von Kew, fand eine Schaufel und förderte das ganze Geld zutage, das er mit sechzehn dort vergraben hatte. Tatsächlich wartete in der Erde eine Menge Silber auf ihn, mehr sogar, als er in Erinnerung hatte.
»Guter Junge«, lobte er sein früheres, jüngeres Ich, den Schätze hortenden Dieb.
Er schlief am Fluss, den Kopf auf einen feuchten Sack Münzen gebettet. Am nächsten Tag kehrte er nach London zurück und kleidete sich einigermaßen passabel von Kopf bis Fuß ein. Er überwachte den Transport seiner peruanischen Pflanzensammlung – sämtlicher Rinderblasen, Samen und Chinarindenproben – von dem Schiff, das aus C á diz gekommen war, auf ein Schiff nach Amsterdam. Von Rechts wegen war die ganze Sammlung Eigentum der Gärten von Kew. Pfeif auf Kew. Sollte Kew ihn doch suchen und finden.
Drei Tage später segelte er nach Holland und verkaufte seine Sammlung, seine Ideen wie auch seine Dienste an die Niederländische Ostindien-Kompanie, deren strenge und gescheite Verwalter ihn, so viel sollte gesagt sein, ohne jeden Anflug von Gelächter empfingen.
Kapitel 4
Sechs Jahre später war Henry Whittaker ein reicher Mann und auf dem besten Wege, es zu noch größerem Wohlstand zu bringen. Seine Chinarindenplantage auf Java, dem kolonialen Vorposten der Niederländer, machte sich prächtig, die Bäume wuchsen wie Unkraut im kühlen, feuchten Gebirgsklima eines terrassenförmig angelegten Anwesens namens Pengalengan, dessen Gegebenheiten mit denen der peruanischen Anden und des Vorgebirges des Himalaya nahezu identisch waren, was Henry selbstverständlich gewusst hatte. Er lebte auf der Plantage und hatte ein wachsames Auge auf seinen Pflanzenschatz. Seine Partner in Amsterdam bestimmten nun die Weltmarktpreise für Jesuitenrinde und erzielten für hundert Pfund weiterverarbeitete Rinde sechzig Florin. Sie kamen kaum mit der Produktion nach. Hier ließ sich also ein Vermögen machen, ein Vermögen gemacht aus einem Heilmittel. Henry hatte seine Baumbestände kontinuierlich veredelt, so dass sie inzwischen vor Fremdbestäubung geschützt waren und eine Rinde hervorbrachten, die wirksamer und zuverlässiger war als alles, was aus Peru kam. Überdies ließ sie sich gut verschiffen und galt weltweit als verlässliches Produkt.
Die Niederländer und ihre Kolonien waren inzwischen die größten Produzenten und Konsumenten von Jesuitenrinde und nutzten das Pulver, um ihre Soldaten, Verwalter und Arbeiter in ganz Ostindien vor dem Malariafieber zu schützen. Der Vorteil, den sie dadurch gegenüber ihren Konkurrenten, insbesondere den Engländern, gewannen, ließ sich wahrlich nicht mit Gold aufwiegen. Fest entschlossen, Rache zu üben, achtete Henry darauf, seine Erzeugnisse konsequent von den britischen Märkten fernzuhalten oder zumindest die Preise in die Höhe zu treiben, wenn doch einmal Jesuitenrinde nach England oder in eine koloniale Niederlassung der Briten gelangt war.
Im fernen Kew unternahm Sir Joseph Banks, inzwischen weit abgeschlagen, doch noch den Versuch, im Himalaya Chinarindenbäume anzupflanzen, ein Projekt, dem jedoch ohne Henrys Sachverstand kein rechter Erfolg beschieden war. Die Briten verwendeten Geld, Kraft und bange Gedanken darauf, in der falschen Höhenlage die falschen Arten
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