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Das Wesen der Dinge und der Liebe: Roman (German Edition)

Das Wesen der Dinge und der Liebe: Roman (German Edition)

Titel: Das Wesen der Dinge und der Liebe: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elizabeth Gilbert
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verstehen Sie?«
    »Ja«, sagte Alma.
    »So schlug ich mich zur Matavai-Bucht durch, wo sich Menschen angesiedelt hatten. Mehrere Wochen lang beobachtete ich die Mission. Ich sah, dass man dort zwar recht bescheiden lebte, aber doch bessere Dinge besaß als andernorts auf der Insel. Die Anwohner hatten Messer, so scharf, dass sie ein Schwein mit einem einzigen Streich schlachten konnten, und mit ihren Beilen ließ sich jeder Baum fällen. Für meine Augen waren ihre Hütten Paläste. Ich sah den Reverend so weiß, dass er mir fast wie ein Geist erschien, ein freundlicher Geist allerdings. Er sprach eine Geister-Sprache, doch ein wenig beherrschte er auch die meine. Ich beobachtete seine Taufen, die allen Freude bereiteten. Schwester Etini betrieb bereits die Schule, zusammen mit Mrs Welles, und ich sah die Kinder hineingehen und herauskommen. Ich legte mich draußen unter das Fenster und lauschte dem Unterricht. Ganz ungebildet war ich nicht. Immerhin vermochte ich einhundertfünfzig verschiedene Fische zu benennen und eine Sternenkarte in den Sand zu malen, ich war nur nicht im europäischen Sinne gebildet. Manche der Kinder verwendeten kleine Schiefertafeln im Unterricht. Ich versuchte, mir auch solch eine Tafel zu basteln, aus einem dunklen Stück Lava, das ich mit Sand glattschmirgelte. Mit dem Saft des Bergwegerich färbte ich meine Tafel noch schwärzer ein, dann kritzelte ich mit weißer Koralle darauf herum. Es war eine nahezu perfekte Konstruktion – nur ließ sich die Tafel leider nicht abwischen!« Er lächelte versonnen. »Wie ich höre, hatten Sie als Kind eine umfangreiche Bibliothek zur Verfügung? Und Ambrose erzählte mir auch, dass Sie von frühester Kindheit an mehrere Sprachen beherrschten?«
    Alma nickte. Dann hatte Ambrose also von ihr gesprochen! Die Eröffnung ließ sie freudig erbeben ( er hatte sie nicht vergessen! ), doch es lag auch etwas Verstörendes darin: Was wusste Tomorrow Morning noch über sie? Sehr viel mehr offenbar als sie über ihn.
    »Es ist mein großer Traum, eines Tages eine Bibliothek zu sehen«, sagte er. »Auch Buntglasfenster würde ich gern einmal sehen. Nun, jedenfalls entdeckte mich eines Tages der Reverend und kam zu mir. Er war freundlich. Ich bin überzeugt, Alma, Sie brauchen nicht viel Phantasie, um zu ermessen, wie freundlich er war, denn Sie sind ihm ja selbst begegnet. Er gab mir eine Aufgabe. Er müsse, so sagte er mir, einem Missionar in Papeete eine Nachricht zukommen lassen, und fragte mich, ob ich seinem Freund die Nachricht überbringen könne. Selbstverständlich sagte ich ja. Ich fragte ihn: ›Wie lautet die Nachricht?‹ Er gab mir nur eine Schiefertafel mit ein paar Zeilen darauf und sagte auf Tahitianisch: ›Das ist die Nachricht.‹ Ich war ein wenig misstrauisch, lief aber dennoch los. Nach ein paar Stunden hatte ich den anderen Missionar in seiner Kirche am Hafen aufgestöbert. Der Mann beherrschte meine Sprache nicht. Ich begriff nicht, wie es möglich sein sollte, dass ich ihm die Nachricht überbrachte, wo ich doch selbst nicht einmal wusste, wie sie lautete, und wir uns nicht verständigen konnten! Doch dann reichte ich ihm die Tafel. Er sah sie sich an und verschwand in seiner Kirche. Als er wieder herauskam, gab er mir einen kleinen Stapel Schreibpapier. Es war das erste Mal, Alma, dass ich Papier zu sehen bekam, und ich hielt es für den zartesten weißesten tapa -Stoff, den ich jemals gesehen hatte – auch wenn ich nicht ganz begriff, was für Kleidung man aus so kleinen Stoffbahnen fertigen sollte. Ich vermutete, man würde sie wohl zu einer Art Gewand zusammennähen.
    Ich eilte zurück in die Matavai-Bucht, rannte die ganzen sieben Meilen und gab Reverend Welles das Papier. Er freute sich sehr, denn – so sagte er mir – das war die Nachricht gewesen: ob der Missionarskollege ihm etwas Schreibpapier borgen könne. Ich war ein Kind Tahitis, Alma, ich kannte mich aus mit Zauberei und Wundern, doch diesen Zauber begriff ich einfach nicht. Mir schien es, als müsste der Reverend die Tafel irgendwie dazu gebracht haben, dem anderen Missionar etwas zu sagen. Er musste der Tafel befohlen haben, an seiner statt zu sprechen, und so war sein Wunsch erfüllt worden! Oh, wie sehr ich diesen Zauber beherrschen wollte! Ich flüsterte meiner armseligen Möchtegerntafel einen Befehl zu und kritzelte sodann mit der Koralle ein paar Zeilen darauf. Mein Befehl lautete: ›Hol meinen Bruder zurück von den Toten.‹ Heute erstaunt es mich, dass ich

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