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Das Wesen der Dinge und der Liebe: Roman (German Edition)

Das Wesen der Dinge und der Liebe: Roman (German Edition)

Titel: Das Wesen der Dinge und der Liebe: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elizabeth Gilbert
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stärkenden Flüssigkeiten und Bettruhe unterzogen. Nur konnte man mit stärkenden Flüssigkeiten und Bettruhe kein Geld verdienen, während mit Jalape außerordentlich viel Geld zu verdienen war. So kam es, dass zum Ende des Jahres 1793 ein Drittel der Bewohner von Philadelphia am Gelbfieber gestorben war und Henry Whittaker sein Vermögen verdoppelt hatte.
    Henry nahm diese Einkünfte und baute zwei weitere Treibhäuser. Dem Vorschlag seiner Frau folgend, begann er uramerikanische Blumen, Bäume und Sträucher zu kultivieren, um sie nach Europa zu exportieren. Eine achtbare Idee. Amerikas Wiesen und Wälder wimmelten von Pflanzen, die für europäische Augen exotisch waren und sich gut nach Übersee verkaufen ließen. Henry war es leid, seine Schiffe leer aus dem Hafen von Philadelphia auslaufen zu lassen. Nun konnte er in beide Richtungen Geld verdienen. Mit der Verarbeitung von Jesuitenrinde in Java verdienten er und seine holländischen Partner nach wie vor ein Vermögen, doch es gab auch vor Ort Dinge, mit denen man gutes Geld machen konnte. Ab dem Jahre 1796 schickte Henry regelmäßig Sammler in die Berge von Pennsylvania, die dort Ginsengwurzeln für den Export nach China suchten. Jahrelang sollte Henry Whittaker der einzige Mann in Amerika sein, der es verstand, den Chinesen etwas zu verkaufen.
    Gegen Ende des Jahres 1798 füllte Henry seine Treibhäuser auch mit exotischen, aus den Tropen importierten Pflanzen, die er an die neuen amerikanischen Aristokraten verkaufte. Die Wirtschaft der Vereinigten Staaten erlebte mit einem Mal einen rasanten Aufschwung. George Washington und Thomas Jefferson besaßen so prächtige Landgüter, dass plötzlich jeder ein prächtiges Landgut besitzen wollte. Die junge Nation lotete die Grenzen der Verschwendungssucht aus. Manche Bürger wurden reich; andere gerieten in bittere Not. Henry Whittakers Kurve zeigte stetig nach oben. Das Motto »Ich will gewinnen« bestimmte sein Kalkül, und er gewann – mit Import, Export, Manufakturen und jeder erdenklichen Art von Opportunismus. Das Geld schien Henry zuzufliegen. Es folgte ihm überall hin wie ein kleines, aufgedrehtes Hündchen. Im Jahre 1800 war er der reichste Mann von Philadelphia und gehörte zu den drei reichsten Männern der westlichen Hemisphäre.
    Als dann in jenem Jahr Henrys Tochter Alma geboren wurde – nur drei Wochen nach George Washingtons Tod –, da schien es, als wäre der Spross einer neuen, noch nie dagewesenen Menschenspezies zur Welt gekommen: das Kind eines mächtigen amerikanischen Sultans.



Teil 2
    Die Pflaume von White Acre

Kapitel 5
    Sie war die Tochter ihres Vaters. Darin waren sich alle von Beginn an einig. Denn Alma Whittaker sah genauso aus wie Henry: das Haar rötlich braun, die Hautfarbe kräftig, der Mund klein, die Stirn breit, dazu eine stattliche Nase. Für Alma war dies ein eher bedauerlicher Umstand, wenngleich sie einige Jahre brauchen würde, um es zu begreifen. Henrys Gesicht passte sehr viel besser zu einem erwachsenen Mann als zu einem kleinen Mädchen. Nicht dass Henry selbst Anstoß daran genommen hätte. Henry Whittaker war stets erfreut, wenn er ein Bild von sich sah, sei es im Spiegel, auf einem Porträt oder im Gesicht eines Kindes, und so stellte ihn Almas Aussehen jederzeit zufrieden.
    »Keine Frage, wer die gemacht hat!«, prahlte er.
    Außerdem war Alma genauso klug wie er. Und genauso robust. Ein richtiges kleines Dromedar, unermüdlich und duldsam. Nie krank. Störrisch. Kaum hatte sie angefangen zu sprechen, wollte sie schon das letzte Wort haben. Hätte Almas Mutter nicht wie ein Mühlstein die Unverschämtheit aus ihr herausgemahlen, wäre sie vielleicht richtig ungezogen geworden. So aber war sie nur forsch. Sie wollte die Welt verstehen und das dafür erforderliche Wissen finden, wo auch immer es sich versteckt hielt. Dabei schien es jedes Mal um das Schicksal ganzer Nationen zu gehen. Sie wollte wissen, warum ein Pony kein Babypferd war. Sie wollte wissen, warum Funken entstanden, wenn sie in heißen Sommernächten mit der Hand über ihr Bettlaken rieb. Sie wollte nicht nur wissen, ob Pilze Pflanzen oder Tiere waren, sondern fragte, kaum dass sie die Antwort erhalten hatte, auch noch nach, wie man denn da so sicher sein könne.
    Für ihre rastlosen Nachforschungen hatte Alma genau die richtigen Eltern: Solange sie ihre Fragen respektvoll formulierte, wurden sie auch beantwortet. Sowohl Henry als auch Beatrix Whittaker duldeten keine geistige Trägheit und

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