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Das Wesen der Dinge und der Liebe: Roman (German Edition)

Das Wesen der Dinge und der Liebe: Roman (German Edition)

Titel: Das Wesen der Dinge und der Liebe: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elizabeth Gilbert
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Kontrolle über ihre Sinne verloren. Wieder schenkte ihr George Hawkes ein mitfühlendes Lächeln, das sie noch mehr erröten ließ. Beatrix hingegen warf ihr einen so vernichtenden, sarkastischen Blick zu, dass Alma einen Moment lang fürchtete, Ziel einer Ohrfeige zu werden. Fast hätte sie es sich gewünscht, und sei es auch nur, um wieder einen klaren Kopf zu bekommen.
    Zu aller Erstaunen ergriff Prudence erneut das Wort.
    »Ich frage mich«, warf sie in ruhigem, maßvollem Ton ein, »ob wohl der klügste Neger dem einfältigsten weißen Mann an Intelligenz überlegen ist? Ich frage dies nur deshalb, Professor Peck, weil unser Hauslehrer, Mr Dixon, uns vergangenes Jahr von einem Volksfest berichtet hat, wo er auf einen ehemaligen Sklaven aus Maryland namens Mr Fuller traf, der als überaus flinker Rechner Berühmtheit erlangt hatte. Nach Aussage von Mr Dixon konnte dieser Neger, wenn Sie ihm das genaue Datum und die exakte Uhrzeit Ihrer Geburt nannten, augenblicklich errechnen, wie viele Sekunden Sie bereits gelebt hatten, Sir, unter Berücksichtigung der Schaltjahre. Selbstverständlich war dies eine überaus beeindruckende Vorführung.«
    Arthur Dixon schien kurz davor, in Ohnmacht zu fallen.
    Ohne noch einen Hehl aus seiner Verärgerung zu machen, entgegnete der Professor: »Junge Dame, ich habe auf Volksfesten Maultiere gesehen, denen sich das Zählen beibringen ließ.«
    »Das habe ich auch«, erwiderte Prudence mit unverändert besonnener, fast monotoner Stimme. »Doch mir ist auf einem Volksfest noch kein Maultier begegnet, dem sich beibringen ließ, Schaltjahre zu berechnen.«
    »Nun gut«, antwortete der Professor und nickte kurz. »Um Ihre Frage zu beantworten: Innerhalb jeder Gattung wird man schwachsinnige Individuen und mitunter sogar gelehrte Individuen vorfinden. Beides ist jedoch nicht die Norm. Ich habe einige Jahre lang die Totenschädel von weißen Männern und Negern gesammelt und vermessen, und meine bisherigen Forschungen haben eindeutig gezeigt, dass der Schädel des weißen Mannes mit Wasser gefüllt im Durchschnitt vier Unzen mehr aufnimmt als der Schädel des Negers, was die höhere intellektuelle Aufnahmefähigkeit beweist.«
    »Ich frage mich«, erwiderte Prudence sanft, »was geschehen wäre, wenn Sie versucht hätten, Wissen in den Schädel eines lebenden Negers zu füllen, anstatt Wasser in den Schädel eines toten?«
    Schweigen legte sich über den wie vom Donner gerührten Tisch. George Hawkes, der an diesem Abend noch kein Wort gesprochen hatte, verfolgte ganz offensichtlich nicht die Absicht, es jetzt zu tun. Arthur Dixon hatte begonnen, in ganz hervorragender Weise einen Leichnam zu imitieren. Professor Pecks Gesicht hingegen nahm einen leicht violetten Farbton an. Prudence wartete mit undurchdringlichem, makellosem Porzellangesicht auf eine Antwort. Henry starrte seine Adoptivtochter mit sichtlich wachsender Verblüffung an, zog es jedoch aus irgendeinem Grund vor zu schweigen – vielleicht, weil er sich für eine direkte Mitwirkung zu geschwächt fühlte, vielleicht aber auch aus purer Neugier, welche Entwicklung dieses mehr als unerwartete Gespräch nehmen würde. Auch Alma leistete keinen Beitrag. Offen gestanden gab es nichts, was sie hätte beitragen können. Noch nie hatte sie so wenig zu sagen gehabt, und noch nie war Prudence so redselig gewesen. Also fiel Beatrix die Aufgabe zu, dem Gästetisch die verlorengegangene Sprache zurückzugeben, und sie tat es mit unerschütterlichem holländischem Pflichtgefühl.
    »Ich fände es hochinteressant, Professor Peck«, sagte sie, »die von Ihnen erwähnte Forschungsarbeit über Differenzen in der Verbreitung von Kopflaus- und Darmwurm-Arten bei Negern und weißen Menschen zu lesen. Vielleicht haben Sie die Dokumentation bei sich? Es wäre mir eine Freude, sie durchzusehen. Die Biologie der Parasiten ist, wie ich finde, ein fesselndes Thema.«
    »Ich trage die Dokumentation nicht bei mir, Madam«, sagte der Professor, während er langsam eine würdevolle Haltung zurückgewann. »Es ist auch nicht erforderlich. Dokumentation ist in diesem Fall nicht vonnöten. Die unterschiedliche Spezialisierung von Kopfläusen und Darmwürmern im Hinblick auf den Neger und den weißen Mann ist eine wohlbekannte Tatsache.«
    Es war kaum zu glauben, doch Prudence ergriff tatsächlich noch einmal das Wort.
    »Wie schade«, sagte sie, kühl wie Marmor. »Bitte vergeben Sie uns, Sir, aber in diesem Hause dürfen wir uns nicht auf die Annahme

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