Das Wesen der Dinge und der Liebe: Roman (German Edition)
dass sie besser als Männerhände für heikle Verrichtungen geeignet sind, wie sie mit dem Pflanzensammeln einhergehen.«
Alma, die eigentlich nicht zum Erröten neigte, errötete bis in die Haarwurzeln. Warum redete dieser Mann von ihren Fingern, von Geschmeidigkeit, Weichheit und heiklen Verrichtungen? Nun starrten alle auf Almas Hände, die sich eben noch an ihrer Scheide zu schaffen gemacht hatten. Es war furchtbar. Aus den Augenwinkeln sah sie, dass ihr alter Freund George Hawkes nervös in ihre Richtung lächelte. Verständnisvoll. George errötete ständig. Er wurde rot, sobald man ihn anblickte, und erst recht, wenn er sich gezwungen sah, etwas zu sagen. Angesichts ihres Unbehagens empfand er wahrscheinlich Mitleid. Als Alma Georges Blick spürte, merkte sie, dass sie noch röter wurde. Zum ersten Mal in ihrem Leben fehlten ihr die Worte, und sie wünschte sich, einfach nicht beachtet zu werden. An diesem Abend hätte sie alles dafür gegeben, diesem Dinner fernbleiben zu dürfen.
Zu ihrem Glück schien Professor Peck an nichts und niemandem außer seiner eigenen Person interessiert zu sein, und als das Essen serviert wurde, hob er zu einer langen, detaillierten Vorlesung an, als wäre White Acre ein Hörsaal des Princeton College und die Gäste seine Studenten.
»Es gibt Stimmen«, begann er, nachdem er penibel seine Serviette gefaltet hatte, »die unlängst behauptet haben, der Negroidismus sei eine reine Erkrankung der Haut und könne möglicherweise mit Hilfe von geeigneten chemischen Kombinationen abgewaschen werden, womit sich der Neger gewissermaßen in einen gesunden weißen Menschen verwandeln würde. Das ist falsch. Wie meine Forschungen bewiesen haben, ist ein Neger kein kranker weißer Mann, sondern eine Gattung für sich, wofür ich im Folgenden den Nachweis erbringen werde …«
Das Zuhören fiel Alma schwer. Ihre Gedanken waren bei Cum Grano Salis und der Bindekammer. Gleichwohl hatte Alma an diesem Tag nicht zum ersten Mal von Genitalien und menschlichen Sexualfunktionen gehört. Im Gegensatz zu anderen Mädchen, denen man in der Familie erzählte, dass Indianer die Babys brächten oder dass sich die Befruchtung durch Einbringen von Samen in kleine Schlitze an den Seiten des Frauenkörpers vollzöge, besaß Alma rudimentäre Kenntnisse der menschlichen Anatomie, sowohl der männlichen als auch der weiblichen. In White Acre gab es so viele wissenschaftliche Bücher und medizinische Abhandlungen, dass sie im Hinblick auf dieses Thema nicht ganz unwissend bleiben konnte, und auch die ihr vertraute Sprache der Botanik war schließlich in hohem Maße sexualisiert. Immerhin hatte Linné die Bestäubung als »Hochzeit« und die Blütenblätter als »prächtige Bettvorhänge« bezeichnet, und einmal hatte er bei einer Blume, die neun Staubblätter und einen Stempel besaß, den gewagten Vergleich zu »neun Männern und einer Frau im selben Brautzimmer« gezogen.
Vor allem aber hätte Beatrix nicht zugelassen, ihren Töchtern eine selbstgefährdende Unschuld anzuerziehen, gerade in Anbetracht der unglückseligen Geschichte von Prudence’ leiblicher Mutter. So hatte Beatrix den beiden Mädchen unter qualvollem Stottern und heftigem Fächerwedeln in Halsnähe die maßgeblichen Abläufe der menschlichen Fortpflanzung höchstpersönlich mitgeteilt. Keiner der Beteiligten war dieses Gespräch angenehm gewesen, und so hatten alle mit vereinten Kräften dafür gesorgt, es so rasch wie möglich zu Ende zu bringen. Die Informationen waren nichtsdestotrotz angekommen. Beatrix hatte Alma später sogar einmal darauf aufmerksam gemacht, dass gewisse Körperteile niemals berührt werden dürften, es sei denn zum Zwecke der Reinlichkeit. Man solle deshalb nicht länger als nötig auf dem Abort verweilen, um sich nicht der Gefahr unkeuscher Leidenschaften auszusetzen. Alma hatte diese Warnungen damals ignoriert, weil sie keinen Sinn ergaben: Warum sollte man länger als nötig auf dem Abort verweilen?
Doch mit der Entdeckung von Cum Grano Salis hatte sie schlagartig begriffen, dass auf der ganzen Welt unvorstellbare sinnliche Dinge geschahen. Männer und Frauen taten diese Dinge miteinander, und zwar nicht nur zum Zwecke der Reproduktion, sondern auch der Rekreation – und im Übrigen nicht nur Männer und Frauen, sondern auch Männer und Männer, Frauen und Frauen, Kinder und Bedienstete, Farmer und Reisende und manchmal sogar Ehemänner und Ehefrauen! Obendrein konnte man die unglaublichsten Dinge mit sich
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