Das Wesen der Dinge und der Liebe: Roman (German Edition)
Sie am frühen Abend eintrafen? Einige unserer Schafe haben seidiges Fell, bei anderen ist es fest und bei wieder anderen lockig und wie aus Wolle. Gewiss würden Sie niemals in Zweifel ziehen, Sir, dass es sich trotz ihres unterschiedlichen Fells bei all diesen Tieren um Schafe handelt. Und wenn Sie mir verzeihen wollen, Sir, so glaube ich, dass all diese Schafarten erfolgreich miteinander gekreuzt werden können. Verhält es sich bei den Menschen nicht genauso? Könnte man insofern nicht argumentieren, dass Neger, Indianer, Orientalen und auch der weiße Mann derselben Gattung angehören?«
Alle Blicke hatten sich auf Prudence gerichtet. Alma fühlte sich wie jemand, den man zum Wecken mit eiskaltem Wasser übergossen hat. Henry öffnete die Augen. Er stellte sein Glas ab und hob mit wiedererwachtem Interesse den Kopf. Man brauchte schon einen sehr scharfen Blick, um es zu bemerken, doch auch Beatrix saß mit einem Mal etwas aufrechter auf ihrem Stuhl, wie in Alarmbereitschaft. Arthur Dixon, der Hauslehrer, riss erschrocken die Augen auf und sah sich ängstlich um, als könnte dieser Ausbruch ihm zur Last gelegt werden. Tatsächlich gab es gute Gründe, in Erstaunen zu geraten. Noch nie hatte Prudence an diesem Tisch oder überhaupt irgendwo so lange ohne Unterbrechung gesprochen.
Bedauerlicherweise war Alma der Diskussion nicht gefolgt und konnte nicht mit letzter Gewissheit beurteilen, ob Prudence’ Erklärung zutreffend oder überhaupt von Belang war, doch bei Gott! Das Mädchen hatte gesprochen! Alle schienen verdutzt, alle bis auf Prudence, die Professor Peck mit ihren blauen, klaren Augen unverwandt ansah, kühl und schön wie immer, und gelassen auf eine Antwort wartete. Es war, als hätte sie ihr Leben lang nichts anderes getan, als angesehene Professoren in ihre Schranken zu weisen.
»Wir können Menschen nicht mit Schafen vergleichen, junge Dame«, stellte Professor Peck richtig. »Die alleinige Tatsache, dass sich zwei Geschöpfe miteinander fortpflanzen … nun … wenn Ihr Vater mir vielleicht verzeihen möchte, dieses Thema in Anwesenheit von Damen anzuschneiden?«
Henry, inzwischen neugierig geworden, gab souverän das Zeichen seiner Zustimmung.
»Die alleinige Tatsache also, dass sich zwei Geschöpfe miteinander fortpflanzen, bedeutet noch nicht, dass sie derselben Gattung angehören. Pferde können sich, wie Sie vielleicht wissen, auch mit Eseln fortpflanzen. Das Gleiche gilt für Kanarienvögel und Finken, Hähne und Rebhühner sowie den Ziegenbock und das Mutterschaf. Dies bedeutet jedoch nicht, dass sie biologisch gleichgestellt sind. Darüber hinaus ist wohlbekannt, dass sich Neger andere Arten von Kopfläusen und Würmern zuziehen, was fraglos eine Differenzierung der Gattungen beweist.«
Prudence nickte dem Gast höflich zu. »Dann befinde ich mich im Irrtum, Sir«, sagte sie. »Bitte, fahren Sie fort.«
Warum nur dieses Gerede von Fortpflanzung?, dachte Alma fassungslos. Ausgerechnet heute Abend!
»Während die Differenzierung der Rassen jedem noch so kleinen Kind ins Auge springt«, fuhr Professor Peck fort, »sollte die Überlegenheit des weißen Mannes zumindest für alle, die über rudimentäre Grundkenntnisse der Menschheitsgeschichte verfügen, eine unbestreitbare Tatsache sein. Als Teutonen und Christen halten wir Tugend, Sittlichkeit, robuste Gesundheit und Sparsamkeit in Ehren. Wir beherrschen unsere Leidenschaften. Folglich haben wir die Zügel in der Hand. Die anderen Rassen, die fernab der Zivilisation ihr Leben fristen, wären niemals imstande gewesen, fortschrittliche Erfindungen wie das Alphabet, das Geld oder die Manufakturen hervorzubringen. Alles in allem ist gerade der Neger an Hilflosigkeit kaum zu überbieten. Der Neger weist eine Überentwicklung der emotionalen Sinne auf, die für seinen berüchtigten Mangel an Selbstbeherrschung verantwortlich ist. In seinen Gesichtsstrukturen zeigt sich diese Überentwicklung des Sinnlichen in ausgeprägter Form. Wir haben es summa summarum mit einer Überbetonung von Augen, Lippen, Nase und Ohren zu tun – was nichts anderes bedeutet, als dass der Neger nicht umhinkann, von seinen Sinnen überstimuliert zu werden. Demgemäß ist er zu wärmster Zuneigung, aber auch zu übelsten Gewaltausbrüchen imstande. Überdies kann der Neger nicht erröten und ist somit nicht fähig, Scham zu empfinden.«
Kaum ausgesprochen, ließen die Worte erröten und Scham Alma vor Scham erröten. Offenbar hatte sie an diesem Abend jegliche
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