Das Wesen der Dinge und der Liebe: Roman (German Edition)
das Kollier nicht zur Geltung, von dem Mutter sagt, dass ich es tragen muss. Ich wünsche mir auch ein Rosenbukett, wobei es für Rosen eigentlich zu früh ist und es manche Leute ohnehin für geschmacklos halten, mit einem Blumenbukett zum Altar zu schreiten.«
Alma drehte sich um und sah ihre Freundin an. »Retta«, sagte sie, diesmal ernster. »Du heiratest doch nicht wirklich, oder?«
»Ich hoffe doch!« Retta lachte. »Ich wüsste auch ehrlich gesagt nicht, wie man unwirklich heiraten sollte!«
»Und wen gedenkst du zu heiraten?«
»Mr George Hawkes«, antwortete Retta. »Diesen seltsamen, ernsten Mann. Ich bin so glücklich, Alma, dass mein Zukünftiger jemand ist, dem gerade du solche Bewunderung zollst, denn das heißt, dass wir alle Freunde sein können. Er bewundert dich, und du bewunderst ihn, er muss also ein guter Mensch sein. Deine Zuneigung zu George ist wirklich der Grund, warum ich ihm vertrauen kann, Alma. Er hat kurz nach dem Tod deiner Mutter um meine Hand angehalten, doch ich wollte nicht früher darüber sprechen, weil du so gelitten hast, du armes Liebchen. Ich wusste nicht einmal, dass er mich gernhat, aber Mutter sagt, alle hätten mich gern, weil man mich einfach gernhaben muss.«
Alma setzte sich auf den Boden. Sie hatte keine andere Wahl: Sie musste sich einfach setzen. Sofort.
Retta sprang zu ihrer Freundin und setzte sich neben sie. »Oh, Alma, du bist ja regelrecht überwältigt! So wichtig bin ich dir!« Sie legte Alma den Arm um die Taille wie am Tag ihrer ersten Begegnung und drückte sie fest an sich. »Ich muss gestehen, dass ich selbst auch noch ein bisschen sprachlos bin. Was will so ein kluger Mann eigentlich mit einem Dummchen wie mir? Mein Vater kam aus dem Staunen nicht mehr heraus! Er sagte: ›Loretta Marie Snow, ich dachte immer, du wärst die Sorte Mädchen, das mal einen gutaussehenden, dummen Kerl heiratet, der mit hohen Stiefeln herumläuft und aus reinem Vergnügen Füchse jagt!‹ Aber siehe da – stattdessen heirate ich einen Wissenschaftler. Vielleicht werde ich am Ende ja selbst noch intelligent, wenn ich mit solch einem überragenden Denker verheiratet bin. Obwohl ich sagen muss, dass George nicht annähernd so viel Geduld hat wie du, mir meine Fragen zu beantworten. Er sagt, botanische Fachpublikationen seien ein hochkompliziertes Thema, das sich nicht erklären lasse, und es ist ja auch wahr, dass ich den Unterschied zwischen einer Lithographie und einer Gravur bis heute nicht zu erkennen vermag. So nennt man es doch, oder? Lithographie? Insofern bleibe ich vielleicht doch genauso dumm. Wie auch immer, wir werden jedenfalls in Philadelphia leben, auf der anderen Flussseite, ist das nicht schön? Vater hat versprochen, uns ein bezauberndes Haus zu bauen, gleich neben Georges’ Druckerei. Ihr müsst mich dort jeden Tag besuchen! Und dann gehen wir drei Mädel zusammen ins Old-Drury-Theater!«
Reglos saß Alma auf dem Boden und brachte kein Wort heraus. Sie war dankbar, dass die plappernde Retta den Kopf fest an ihre Brust schmiegte, denn sonst hätte das Mädchen in Almas Gesicht geblickt.
George Hawkes würde Retta Snow heiraten?
Aber George sollte doch Almas Ehemann werden! So hatte sie es sich jedenfalls seit beinahe fünf Jahren immer wieder in den buntesten Farben ausgemalt. Sie hatte ihn sich vorgestellt – seinen Körper! –, wenn sie in der Bindekammer war. Doch sie hatte auch keuschere Gedanken an ihn gehegt. Hatte sich ihre Zusammenarbeit vorgestellt, das gemeinsame, konzentrierte Studium. Zudem war sie fest davon ausgegangen, White Acre zu verlassen, sobald es an der Zeit wäre, George zu heiraten. Sie würden ein kleines Zimmer über seiner Druckerei bewohnen, umgeben vom warmen Geruch nach Druckerschwärze und Papier. In Almas Phantasie reisten sie gemeinsam nach Boston, wenn nicht gar weiter, vielleicht sogar nach Übersee, um in den Alpen nach der Küchenschelle oder dem Gletscher-Mannsschild zu suchen. »Was hältst du hiervon?«, würde er sie fragen, und sie würde antworten: »Welch ein schönes, seltenes Exemplar.«
Er war immer so herzlich zu ihr. Einmal hatte er sogar ihre Hand ergriffen und zwischen seine Handflächen gepresst. Unzählige Male hatten sie abwechselnd durch dasselbe Okular geblickt und gemeinsam neue Wunder bestaunt.
Was mochte George Hawkes nur an Retta Snow finden? Soweit sich Alma erinnerte, hatte ihn allein Rettas Anblick stets in Verlegenheit gebracht. Verwirrt und etwas betreten hatte er, sobald Retta das
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