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Das Wesen der Dinge und der Liebe: Roman (German Edition)

Das Wesen der Dinge und der Liebe: Roman (German Edition)

Titel: Das Wesen der Dinge und der Liebe: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elizabeth Gilbert
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schnell, wie sie gekommen war. Es hätte auch Einbildung sein können.
    »Nein«, erwiderte Prudence.
    »Wie konnte das geschehen?«, fragte Alma. Da Prudence schwieg, redete sie weiter. »Retta sagt, sie hätten sich bereits in der Woche verlobt, in der unsere Mutter starb.«
    »Aha«, antwortete Prudence nach einer langen Pause.
    »Wusste Retta, dass ich …?« Alma zögerte, den Tränen nahe. »Wusste sie, dass ich Gefühle für ihn hege?«
    »Wie sollte ich imstande sein, dir diese Frage zu beantworten?«, entgegnete Prudence.
    »Hat sie es von dir erfahren?«, fragte Alma mit heiserem Nachdruck. »Hast du jemals mit ihr darüber gesprochen? Du bist die Einzige, die ihr gesagt haben könnte, dass ich George liebe.«
    Wieder erschien die weiße Linie um den Mund ihrer Schwester, und diesmal verweilte sie ein klein wenig länger. Keine Frage: Diesmal war es Empörung.
    »Ich hätte mir erhofft, Alma«, erklärte Prudence, »dass du mich nach so vielen Jahren besser kennst. Ist jemals eine Person, die in der Hoffnung auf Tratsch zu mir kam, befriedigt heimgekehrt?«
    »Ist Retta denn jemals in der Hoffnung auf Tratsch zu dir gekommen?«
    »Ob sie dies tat oder nicht, ist bedeutungslos, Alma. Warst du jemals Zeugin, wie ich anderer Leute Geheimnisse preisgab?«
    »Hör auf, in Rätseln zu sprechen!«, rief Alma. Dann senkte sie die Stimme: »Hast du Retta Snow nun erzählt, dass ich George Hawkes liebe, oder hast du es nicht erzählt?«
    In diesem Augenblick bemerkte Alma einen Schatten, der zögernd vor der Tür verharrte und gleich darauf verschwand. Nur den Zipfel einer Schürze hatte sie erspähen können. Irgendjemand – ein Hausmädchen – hatte offenbar den Salon betreten wollen, sich dann jedoch eines anderen besonnen und sich davongeschlichen. Warum konnte man in diesem Hause eigentlich nirgendwo ungestört sein? Auch Prudence hatte den Schatten gesehen; sie äußerte ihr Missfallen, indem sie aufstand und entschlossen, fast drohend auf Alma zuging. Aufgrund ihrer unterschiedlichen Körpergröße waren die Schwestern buchstäblich nicht auf Augenhöhe, doch obgleich Prudence einen ganzen Kopf kleiner war, gelang es ihr irgendwie, auf Alma herabzuschauen.
    »Nein«, sagte sie. »Ich habe niemandem etwas erzählt und werde es auch nicht tun. Deine Unterstellungen kränken mich. Zudem sind sie ungerecht sowohl gegenüber Retta Snow als auch gegenüber Mr Hawkes, mit anderen Worten den beiden Personen, die ja wohl, wie ich doch hoffen darf, die Einzigen sind, die diese Sache etwas angeht. Noch schlimmer ist hingegen, dass du dich mit deinen Verdächtigungen selbst erniedrigst. Ich bedaure, dass du enttäuscht bist, doch wir sind es unseren Freunden schuldig, ihnen alles erdenklich Gute für die Zukunft zu wünschen und uns mit ihnen zu freuen.«
    Alma hob zu einer Replik an, doch Prudence unterbrach sie: »Du tätest gut daran, dich um Selbstbeherrschung zu bemühen, ehe du weitersprichst, Alma«, sagte sie warnend. »Was auch immer du jetzt zu offenbaren gedenkst, wirst du später bereuen.«
    Sicher, das stand außer Frage. Alma bereute jetzt schon, was sie offenbart hatte. Sie wünschte, sie hätte dieses Gespräch niemals geführt. Doch nun war es zu spät. So gesehen wäre es am besten gewesen, die Unterhaltung unverzüglich zu beenden. Das allein hätte Alma in die Lage versetzt, den Mund zu halten. Doch leider, leider, konnte sich Alma nicht zügeln.
    »Ich wollte ja nur wissen, ob Retta mich hintergangen hat«, platzte es aus ihr heraus.
    »Tatsächlich?«, fragte Prudence kühl. »Dann gehst du also von der Annahme aus, dass dir unsere Freundin, Miss Retta Snow – das argloseste Wesen, dem ich jemals begegnet bin –, mutwillig deinen George Hawkes weggenommen hat? Zu welchem Zweck, Alma? Zu ihrer eigenen Genugtuung? Und da wir schon dieser Logik folgen, glaubst du, dass ich dich ebenfalls hintergangen habe? Glaubst du, ich hätte Retta dein Geheimnis verraten, um dich zum Gespött zu machen? Glaubst du, ich hätte Retta ermuntert, Mr Hawkes nachzustellen, um dadurch ein lustiges, böses Spielchen mit dir zu treiben? Glaubst du, ich hätte irgendein Verlangen, dich leiden zu sehen?«
    Du lieber Gott, Prudence konnte wirklich erbarmungslos sein. Als Mann hätte sie einen herausragenden Anwalt abgegeben. Noch nie hatte sich Alma so elend, so klein gefühlt. Sie setzte sich auf den nächstbesten Stuhl und starrte zu Boden. Doch Prudence war noch nicht gewillt, von ihr abzulassen; sie baute sich vor

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