Das Wesen der Dinge und der Liebe: Roman (German Edition)
Adoptivtochter mit einer durchaus großzügigen Mitgift beglückt und sich nicht einmal unfreundlich gegenüber Arthur Dixon gezeigt, auch wenn der Mann ein Langweiler und Presbyterianer war), doch Alma würde er so nicht gehen lassen, niemals. So wertlos Prudence in Henrys Augen war, so unentbehrlich war ihm Alma, insbesondere seit Beatrix’ Tod.
Folglich hatte Alma den Platz ihrer Mutter eingenommen. Im Grunde war sie gezwungen, Beatrix’ Rolle zu übernehmen, denn niemand außer ihr wurde mit Henry fertig. Alma schrieb ihm seine Briefe, zahlte seine Rechnungen, lauschte seinen Klagen, hatte ein Auge auf seinen Rumkonsum, nahm Stellung zu seinen Plänen und glättete die Wogen seiner Empörungen. Zu allen erdenklichen Tages- und Nachtzeiten in sein Arbeitszimmer gerufen, durfte Alma jedes Mal gespannt darauf sein, was ihr Vater nun wieder von ihr wollte und wie langwierig die Aufgabe sein würde. Es konnte passieren, dass sie ihn an seinem Schreibtisch vorfand, mit einer Nadel an einem Haufen Goldmünzen kratzend, von denen er sich fragte, ob es Falschgold war, und dazu Almas Meinung einholen wollte. Oder er langweilte sich einfach nur und bat sie um eine Tasse Tee, eine Partie Cribbage oder darum, ihm den Text eines alten Liedes in Erinnerung zu rufen. An Tagen, da ihn sein Körper peinigte, ihm ein Zahn gezogen oder ein Brustwickel angelegt worden war, ließ er Alma in sein Arbeitszimmer kommen, um ihr lediglich mitzuteilen, wie schrecklich schlecht es ihm ginge. Mitunter kam es auch vor, dass er aus heiterem Himmel den Wunsch verspürte, das gesamte Hauswesen einer kritischen Bestandsaufnahme zu unterziehen. (»Warum muss Lamm in diesem Hause eigentlich immer schmecken wie Hammel?«, hieß es dann, oder: »Warum müssen die Hausmädchen ständig die Teppiche verschieben? Wie soll ein Mann da noch wissen, wo er hintreten soll, ohne zu stolpern? Wie viele Stürze wollen sie mir damit noch bescheren?«)
An rüstigeren, geschäftigeren Tagen hatte Henry zuweilen auch echte Arbeit für Alma, etwa das Aufsetzen eines Drohbriefs an einen in Zahlungsrückstand geratenen Schuldner. »Sag ihm, dass er innerhalb der nächsten zwei Wochen anfangen soll, mir mein Geld zurückzuzahlen, sonst sorge ich dafür, dass seine Kinder den Rest ihres Lebens im Armenhaus verbringen«, diktierte Henry, und Alma schrieb: »Sehr geehrter Herr, mit dem Ausdruck größten Respekts darf ich Sie bitten, nunmehr alle Anstrengungen zu unternehmen, Ihre Schuld zu begleichen …« Wenn Henry, was auch hin und wieder vorkam, eine Sammlung getrockneter Pflanzen aus Übersee erhalten hatte, gab er Alma den Auftrag, diese rasch in Wasser einzulegen und zu zeichnen, ehe die kostbare Fracht vermodert war. Einmal verlangte er von ihr, einen Brief an irgendeinen Handlanger in Tasmanien aufzusetzen, der sich am anderen Ende der Welt für die Whittaker Company mit dem Sammeln exotischer Pflanzen zu Tode schuftete.
»Sag diesem faulen Trottel«, befahl Henry und knallte Alma wutentbrannt einen Bogen Briefpapier auf den Tisch, »dass er mir nichts Gutes tut, wenn er mir mitteilt, dass dieses oder jenes Pflanzenexemplar am Ufer eines Bächleins gefunden wurde, dessen Namen er sich wahrscheinlich selbst ausgedacht hat – ich jedenfalls kann beim besten Willen nicht erkennen, auf welcher existierenden Karte es eingezeichnet sein soll. Sag ihm, dass ich nützliche Informationen brauche. Sag ihm, dass mich Auskünfte über seine sich verschlechternde Gesundheit einen feuchten Kehricht interessieren. Auch meine Gesundheit lässt nach, belästige ich ihn deshalb mit meinen Wehwehchen? Sag ihm, dass ich ihm für jede Pflanzenart einen Hundertpreis von zehn Dollar garantiere, aber er muss präzise arbeiten, und die Pflanze muss identifizierbar sein. Außerdem soll er aufhören, seine getrockneten Pflanzen auf Papier zu kleben , denn davon gehen sie kaputt, was er inzwischen verdammt noch mal wissen müsste. Sag ihm, dass er in jedem Ward’schen Kasten zwei Thermometer anbringen soll – das eine direkt an der Glaswand, das andere in der Erde. Und er soll erst wieder Pflanzen verschiffen, wenn er die Matrosen irgendwie davon überzeugt hat, die Kästen nachts, wenn Frost droht, unter Deck zu bringen. Denn von mir kriegt er für die nächste Lieferung keinen lumpigen Holzzahn, wenn in den Kisten anstelle von Pflanzen wieder nur schwarzer Moder herumliegt. Sag ihm auch noch, dass ich ihm seinen Lohn nicht mehr vorschieße. Er kann sich glücklich schätzen, diese
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