Das Wesen der Dinge und der Liebe: Roman (German Edition)
Anstellung überhaupt noch zu haben, schließlich tut er, was er kann, um mich zugrunde zu richten. Sag ihm, dass ich ihm wieder Geld gebe, wenn er es verdient hat.« (»Lieber Herr«, schrieb Alma, »die Whittaker Company erweist Ihnen ihren aufrichtigen Dank für Ihre jüngsten Mühen und bittet um Verzeihung für alle Unannehmlichkeiten, denen Sie möglicherweise ausgesetzt sind …«)
Diese Arbeit konnte niemand anders leisten. Es musste Alma sein. Alles war genau so, wie Beatrix es auf dem Sterbebett verfügt hatte: Alma konnte ihren Vater nicht verlassen.
Hatte Beatrix den Verdacht gehegt, dass ihre leibliche Tochter niemals heiraten würde? Wahrscheinlich, dachte Alma jetzt. Wer hätte sie auch haben wollen? Wer hätte einen weiblichen, mit Wissen vollgestopften Riesen ihrer Größe genommen, mit Haaren so rot und abstehend wie ein Hahnenkamm? George Hawkes wäre der ideale – und eigentlich auch einzige – Anwärter gewesen, doch nun war er vergeben. Alma wusste, dass es ein hoffnungsloses Unterfangen war, jemals einen passenden Ehemann für sie aufzutreiben. Als sie eines Tages mit Hanneke de Groot die Buchsbäume im griechischen Garten ihrer Mutter stutzte, brachte sie ebendies zur Sprache.
»Meine Zeit wird nicht mehr kommen, Hanneke«, erklärte Alma unvermittelt. Nach Selbstmitleid klang dies nicht, nur ehrlich und unverblümt. Wenn Alma holländisch sprach (was mit Hanneke stets der Fall war), neigte sie dazu, ehrlich und unverblümt zu sein. Das hing irgendwie mit der Sprache zusammen.
»Hab Geduld«, erwiderte Hanneke, die genau wusste, was Alma meinte. »Vielleicht kommt auch für dich noch ein Ehemann.«
»Du treue Hanneke«, sagte Alma liebevoll. »Machen wir uns doch nichts vor. Wer wird jemals einen Ring an diese riesigen, grobschlächtigen Hände stecken? Wer wird jemals dieses Lexikon küssen, das da als Kopf auf meinem Hals sitzt?«
»Ich«, antwortete Hanneke und zog Alma zu sich herab, um ihr die Stirn zu küssen. »Bitte schön. So, das wäre damit erledigt, und nun hör auf zu jammern. Du tust immer, als wüsstest du alles, aber du weißt beileibe nicht alles. Deine Mutter hatte denselben Fehler. Ich habe weit mehr vom Leben gesehen als du, und ich sage dir, dass du noch nicht zu alt fürs Heiraten bist – du kannst sogar noch eine Familie gründen. Es gibt keinen Grund zur Eile. Sieh dir Mrs Kingston an, aus der Locust Street. Fünfzig Jahre alt, und nun hat sie ihrem Mann Zwillinge geschenkt. Fast so wie Abrahams Frau. Jemand sollte mal ihren Mutterschoß untersuchen.«
»Ich muss gestehen, Hanneke, dass ich nicht glaube, dass Mrs Kingston bereits fünfzig Jahre alt ist. Und gewiss möchte sie nicht, dass wir ihren Mutterschoß untersuchen.«
»Ich will damit ja nur sagen, Kind, dass du die Zukunft nicht so gut kennst, wie du vielleicht glaubst. Im Übrigen gibt es noch etwas, das ich dir sagen muss.« Hanneke unterbrach ihr Tun, und ihre Stimme wurde ernst. »Jeder Mensch erlebt Enttäuschungen, Kind.«
Kindje hieß das bei Hanneke. Alma liebte den Klang dieses Wortes. Kindje . Es war der Kosename, den Hanneke früher verwendet hatte, als Alma klein und ängstlich war und in tiefster Nacht ins Bett der Haushälterin gekrochen kam. Kindje . Es war der Inbegriff von Wärme.
»Mir ist durchaus bewusst, dass jeder Mensch Enttäuschungen erlebt, Hanneke.«
»Da bin ich mir nicht so sicher. Du bist noch jung, deshalb denkst du nur an deine eigene Person. Du merkst nichts von den Kümmernissen anderer. Spar dir deinen Protest; es stimmt. Ich verurteile dich nicht. In deinem Alter war ich genauso selbstsüchtig wie du. Die Jugend ist nun einmal selbstsüchtig. Heute bin ich klüger. Schade, dass wir einen alten Kopf nicht auf junge Schultern setzen können, dann wärest du jetzt schon klug. Irgendwann wirst du freilich verstehen, dass niemand imstande ist, ohne Leid durchs Leben zu gehen – wie auch immer du das vermeintliche Glück der anderen einschätzen magst.«
»Aber was tun wir mit unserem Leid?«, fragte Alma.
Diese Frage hätte sie keinem Pfarrer, Philosophen oder Dichter jemals gestellt, doch auf Hanneke de Groots Antwort war sie gespannt.
»Nun, Kind, mit deinem Leid kannst du tun und lassen, was du willst«, antwortete Hanneke freundlich. »Es gehört dir. Doch ich will dir sagen, was ich mit meinem tue. Ich packe es an den Haaren, werfe es zu Boden und zermalme es unter den Absätzen meiner Stiefel. Ich schlage vor, dass du lernst, es genauso zu
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