Das Wesen. Psychothriller
Rechtsanwalt so schlecht erreichbar war.
Die Maschine spuckte mit klackenden Geräuschen die beiden Scheiben, zu denen sie den Kaffeesatz zusammengedrückt hatte, in den dafür vorgesehenen Behälter.
Menkhoff hatte sein Telefonat schon beendet, als ich zurück ins Büro kam, die beiden dampfenden Becher in Händen.
»Und?«
»Mist. Kaum Spuren, ein paar verschiedene Haare, weiblich, aber nichts, das zu Lichners DNA passt. Freundinnen von ihm vielleicht, vielleicht auch noch von der Vormieterin, weiß der Teufel. Aber sonst – so verdreckt dieser Stall auch ausgesehen hat, in dem er da haust – abgesehen von Stellen wie Regalen oder Schränken, auf denen der Staub zentimeterdick liegt, ist alles clean. Als ob jemand panisch die Böden gewienert hat. Sogar von Lichner selbst war nur ganz wenig DNA -Material zu finden, nicht mal im Bad, kaum Hautpartikel. Es ist zum Kotzen.«
Ich stellte einen der heißen Becher vor ihm ab. »Das heißt, es gibt zwei Möglichkeiten: Entweder, er hält sich so gut wie nie in dieser Wohnung auf, oder er hat tagelang geputzt. Zumindest da, wo wir irgendwas hätten finden können.«
Menkhoff trank einen Schluck Kaffee. »Mensch, Alex, das liegt doch auf der Hand, du hast den Dreckstall doch gesehen! Ich hätte da nichts anfassen können, ohne die Gelbsucht zu bekommen. Da liegen verschimmelte Essensreste in einer Pappschachtel rum, die waren mindestens ein paar Wochen alt, ja, und die alte Holzplatte, auf der diese Schachtel steht? Die ist blitzblank. Gibt’s doch nicht! Keine Fingerabdrücke, kein Staubkörnchen, nichts. Alex, der hat alle Spuren seiner Tochter verschwinden lassen, da kann man doch dran fühlen, verdammte Scheiße.«
Ich wusste, dass er recht hatte, nur … »Das wird uns leider wenig helfen. Kein Richter wird Joachim Lichner in Untersuchungshaft stecken, weil der seine Wohnung geputzt hat. Solange nicht klar ist, dass das Kind nicht bei der Mutter lebt …«
Menkhoff nickte und stand auf. »Und das weiß dieser Scheißkerl ganz genau.« Er sah auf seine Armbanduhr. »Halb zehn, ich hoffe, Wolfert findet schnell was raus. Komm, wir gehen zu Lichner, kann ja sein, dass er sich’s über Nacht überlegt hat und jetzt mit uns redet.«
»Glaub ich nicht, Bernd.«
»Ich doch auch nicht, Mensch!«, fuhr er mich an, »aber irgendwas müssen wir machen. Und wenn er den Mund nicht aufmacht, schauen wir uns nachher auf jeden Fall nochmal in seiner Bruchbude um. Vielleicht finden wir doch noch was, das uns weiterhilft.«
»Du gibst nicht auf, oder? Wie damals.«
Er war schon zur Tür unterwegs, blieb nun aber stehen und drehte sich mit einem Ruck zu mir um. »Was? Was ist mit damals? Jetzt pass mal auf, Alex: Lichner ist damals rechtskräftig verurteilt worden, und das nicht zuletzt, weil ich nicht aufgegeben habe, auch wenn ein Grünschnabel vielleicht anderer Meinung war als ich.«
»War es wirklich nur das, Bernd?«
»Was zum Teufel soll das heißen?«
Ich sah in dieses Gesicht, erkannte darin den Ärger, vielleicht war es auch Wut, und war hin- und hergerissen. Sollte ich ihm jetzt einfach sagen, was ich dachte? Was ich damals gedacht hatte und wie sehr mich diese Gedanken all die Jahre belasteten? So oft hatte ich mir das Für und Wider überlegt … Ich wollte diese Sache ein für alle Mal klären. Aber das konnte ich unmöglich in diesem Moment tun. Falls Lichner wirklich sein eigenes Kind entführt hatte, blieben uns nur ein paar lächerliche Stunden, das zu beweisen.
Ich schüttelte den Kopf. »Ach, vergiss es, du hast ja recht. Ich hab einfach das Gefühl, du hasst Lichner bis aufs Blut.«
»Damit liegst du verdammt nochmal richtig, Alex.« Sein Blick fixierte mich. »Können wir jetzt gehen?«
16
15. Februar 1994
Bernd Menkhoff saß schon hinter seinem Schreibtisch, als ich ins Büro kam, das heißt, eigentlich lag er mehr, als dass er saß. Er hatte die Unterschenkel über die Ecke des Schreibtischs gelegt und hielt einen Becher mit dampfendem Kaffee in der Hand. Ich sah verwundert auf die Uhr. Zehn nach acht, so früh hatte ich ihn in der kurzen Zeit, in der wir nun Partner waren, noch nicht im Büro gesehen.
»Guten Morgen, Herr Kollege, ich hoffe, wenigstens Sie hatten eine erholsame Nacht«, sagte er, und es klang … traurig? … deprimiert?
»Guten Morgen. So früh schon hier? Klingt so, als hätten
Sie
nicht viel geschlafen.«
Er fuhr sich mit der freien Hand über die Augen. »Nein, fast überhaupt nicht.« Ich hängte meine Jacke
Weitere Kostenlose Bücher