Das Wiegen der Seele (German Edition)
er auf seinem Sitz hin und her. Nettgen standen noch rund zwei einhalb Stunden Flug bevor, bis er in Kairo landete.
Bevor die Maschine mit ohrenbetäubendem Lärm aufsetzte, war er von der Stewardess gebeten worden, seinen Sitz wieder hochzustellen und sich anzuschnallen. Sie musste den Kapitän kennen, denn bei der unsanften Landung war das besser so.
Beim Verlassen des Flugzeugs traf ihn der gleiche Schlag wie bei der ersten Reise. Eine unbeschreiblich drückende Hitze brachte ihn ins Schwitzen, ohne dass er sich dafür anstrengen musste. Auf dem Weg zum Kofferrollband dachte er an das Telefonat mit Maria, mit der er noch in der vorherigen Nacht Kontakt aufgenommen und ihr von seinem spontanen Flug nach Ägypten erzählt hatte. Schon beim Wählen ihrer Nummer war im bewusst gewesen, dass sie ganz und gar nicht von seinen Plänen begeistert sein würde. Und genau so war es auch. Sie war außer sich, beschimpfte ihn und versuchte vergeblich, ihn davon abzuhalten. Nettgen hatte im Gegenzug versucht, sie zu beruhigen – auch vergeblich.
Nun grübelte er. Seit dem Telefonat war der Fortgang seiner Beziehung genau so ungewiss wie der Ausgang seiner Reise.
Gedankenvertieft hätte er beinahe seinen Koffer wieder vorbeirollen lassen. Im letzten Moment bekam er ihn jedoch noch zu fassen und zog ihn vom Band. Er war nicht allzu schwer, immerhin wollte er ja schnell zurück.
Draußen vor dem Flughafen nahm er sich ein Taxi und setzte sich auf die Rückbank, den Koffer neben sich. Unter keinen Umständen wollte er ihn aus den Augen lassen, denn er war heilfroh, ihn nach dem Flug wieder bei sich zu haben. Der Inhalt durfte unter keinen Umständen in falsche Hände geraten. Er hatte nur das Wichtigste mitgenommen: Die Schablone und den Stein. Die strengen Zollkontrollen hätten nicht zugelassen, die Schablone ins Handgepäck zu nehmen, und so hatte Nettgen seine wertvollen Schätze aufgeben müssen.
In seiner Hosentasche befand sich ein Zettel, auf dem er sich die Zahlenreihe und die wichtigsten Informationen notiert hatte, um die Originale gut versteckt zu Hause lassen zu können. Wie Crampton war auch Nettgen inzwischen von dem Geheimnis besessen, das er von nun an zu entschlüsseln wusste. Er hatte niemanden außer Maria über seine Reise informiert und sie gebeten, es auch dabei zu belassen. Das hier musste er mit sich selbst ausmachen. Je mehr sich das Taxi Kairo näherte, desto ungeduldiger und nervöser wurde er.
Kein e Stunde später befand sich Nettgen in einer kleinen Pen sio n. Sie war gemütlich und machte einen sauberen, gepflegten Eindruck. Er setzte sich auf das Bett, legte den Koffer neben sich und starrte auf die bunten Vorhänge an den Fenstern. Er brauchte einen Moment, um zu begreifen, dass er wieder in Kairo war, diesmal kein Skorpion im Bett lauerte und auch kein Toter auf dem Balkon lag - schon deshalb, weil das Zimmer gar keinen Balkon hatte. Nettgen schloss die Augen und versuchte, methodisch zu denken. Er versteckte den Koffer unter dem Bett, legte sein Handy unter das Kopfkissen und verließ das Zimmer.
Der Flur war leer. Hier und da erklangen Kindergeschrei und Musik aus den anderen Zimmern. Zuerst besorgte er sich neues Equipment. Er hatte alles zu Hause gelassen, was er auch vor Ort bekommen konnte, um am Zoll nicht aufzufallen, getreu nach Neuhausens Motto: Wecke keine schlafenden Hunde!
Er besorgte sich eine Taschenlampe, Batterien, einen Kompass und einen Luftdruckmesser. Zuhause wäre das kein Problem gewesen, aber dass sich das in Kairo als nicht so einfach erweisen würde, daran hatte er in der Eile nicht gedacht. Radebrechend gelang es ihm jedoch sogar, ein Brecheisen und eine große Zange zu ergattern. In einem anderen Laden erstand er außerdem e inen Klappspaten, einen Rucksack und Getränkeflaschen , schließlich wollte er auf alles vorbereitet sein.
Rund zwei Stunden später war Nettgen wieder auf seinem Zimmer. Zum x-ten Mal fragte er sich, ob er wirklich das Richtige tue und ob der Fund am Ende die Sache wert sei. Mit aller Gewalt versuchte er, diese Gedanken zu verdrängen und sich auf das Wesentliche zu konzentrieren. Am nächsten Morgen sollte seine Expedition starten. Er musste die Stelle erreichen, wenn die Sonne zur Mittagszeit am richtigen Platz stand. Aus den Tüten holte er alle Einkäufe hervor und sortierte sie auf dem Tisch. Immer wieder überlegte er, ob er auch nichts vergessen hatte. Dann zog er den Koffer unter dem Bett hervor, öffnete ihn und legte den
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