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Das Wiegen der Seele (German Edition)

Das Wiegen der Seele (German Edition)

Titel: Das Wiegen der Seele (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dirk Ullsperger
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    Die Leber kam in den Krug mit Menschenkopfdeckel. Der Behälter mit Schakalkopf war für den Magen gedacht. Den Krug für die Lunge zierte ein Hundskopfpavian und die Gedärme fanden schließlich im Gefäß mit dem Falkenkopf ihren Platz.
    Die Kanopen wurden geschlossen und in einem eigens dafür vorgesehenen vergoldeten Kanopenschrein untergebracht.
    Jetzt betrat eine weitere Gestalt den Raum. Der Körper war der eines Menschen, gekleidet in altägyptische Gewänder. Um den Hals trug er einen breiten Kragen aus Gold und bunten Fayencen, die Oberarme waren mit goldenen Spangen verziert. Der Kopf jedoch war mit einer Maske bedeckt, die einen Schakal mit spitzer Schnauze und hochgestellten Ohren darstellte.
    Die beiden Kuttenträger verbeugten sich ehrfürchtig.
    Anubis, der göttliche Mumifizierer , näherte sich dem Leichnam.
    Er begutachtete den leblosen und verstümmelten Körper, überprüfte den Kanopenschrein und überwachte von nun an die Mumifizierung.
    Die zwei Kuttenträger wandten sich dem Kopf des Leichnams zu.
    Mit einem Metallhaken entfernten sie durch die Nase das Gehirn und übergaben es dem Abfall.
    Dann reinigten sie die Bauchhöhle mit Palmwein, füllten ihn mit Myrrhepulver und verschiedenen anderen Stoffen und nähten ihn schließlich wieder zu.
    Wachsam beobachtete Anubis das uralte Ritual.
    Der Körper wurde mit duftenden Ölen eingerieben und mit Binden eingewickelt. Zwischen den verschiedenen Leinenlagen banden sie Amulette ein.
    Nachdem über einhundert Meter Leinenbinden den Körper in eine Mumie verwandelt hatten, nahmen sie das Herz und schritten zu einer goldenen Waage, die Anubis mitgebracht und in der Mitte des Raumes positioniert hatte. Die ganze Prozedur des Mumifizierens dauerte nach den alten Ritualen eigentlich siebzig Tage, sie hatten es jedoch geschafft, durch die Zugabe von Chemikalien die Wartezeiten drastisch zu verkürzen und in nur sechs Stunden aus dem Toten eine Mumie zu machen.
    Anubis war mit dem Ergebnis zufrieden. Nun oblag es ihm, das „Wiegen der Seele“ zu überwachen.
    Die Feder wurde in die rechte Glasschale der Waage gelegt, das Herz des Verstorbenen in die linke.
    Die Schale mit dem Herzen neigte sich der Erde zu. Anubis war zufrieden.
    Er musterte den mumifizierten Körper noch eine Weile, nahm sich dann ohne Mühe den Kanopenschrein unter den Arm, als wiege er nicht mehr als ein Blatt Papier, und stolzierte mit großen Schritten aus dem Raum.
    Die Mumie überließ er den Kuttenträgern.
    Noch aus der Ferne hallten seine schweren Schritte, als er fauchend davon stolzierte.

Kapitel 5
     
    Am Morgen des zweiundzwanzigsten Mai fand sich Nettgen schon früh bei Frau Crampton ein.
    Der Morgen hatte nicht gut angefangen, denn er war schweißgebadet aus einem Traum aufgewacht, in dem er um sein Leben rannte. Von wem er verfolgt worden war, daran konnte er sich nicht mehr erinnern, aber der Traum war ihm ziemlich real vorgekommen, denn beim Aufstehen hatte er einen leichten Muskelkater in den Beinen verspürt.
    Dementsprechend war seine Laune nach dem Aufwachen gewesen, aber die Aussicht auf ein Frühstück mit Frau Crampton hatte ihn schlagartig in bessere Stimmung versetzt. Obwohl er es kaum erwarten konnte, seine Neugierde zu stillen, war die Morgentoilette für seine Verhältnisse außerordentlich lang ausgefallen.
    Auf der Autofahrt überzeugte er sich mithilfe des Rückspiegels immer wieder davon, dass sein Hemd diesmal keine Kaffeespuren trug und auch keine Bartstoppeln stehen geblieben waren. In der Stadt herrschte das absolute Chaos. Essen erstickte in den frühen Morgenstunden wie immer im Straßenverkehr.
    Ein nichtendenwollender Strom von Autos quälte sich in alle Richtungen zu den Autobahnen bis in die Innenstadt. Für diese Uhrzeit war es üblich, dass sich die Ketten aus Lack, Metall und Glas manchmal für Stunden stauten. Der nur schleppend vorwärtskommende Verkehr kam auch an diesem Tag zum Erliegen.
     
    Etwa eine dreiviertel Stunde später saß Nettgen bei Frau Crampton am Glastisch und starrte mit abgestützten Ellbogen auf einen beigefarbenen DIN A5-Briefumschlag, der mit dem Absender nach oben auf dem Tisch lag.
    Nettgens Hände steckten in Einweghandschuhen. Er erhoffte sich einen Fingerabdruck oder eine andere Spur auf dem Umschlag oder dessen Inhalt, und die wollte er auf keinen Fall verwischen.
    Frau Crampton beobachtete ihn. Dabei blieb ihr Gesicht unbewegt wie eine Maske. Nur in ihren Augen las man Angst und Ungewissheit vor dem,

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