Das Wiegen der Seele (German Edition)
hätte was dafür gegeben, wenn er je einen so freundlichen Ton in seiner Stimme vernommen hätte.
„Kommissar Nettgen, heute Nachmittag ist mir ein Brief zugestellt worden ...“
Es entstand eine Pause. Nettgen verstand nicht ganz und fragte vorsichtig : „Ja, und ...?“
„Der Absender ist mein Mann. Der Brief wurde am dritten Mai in Kairo abgestempelt und ist heute eingetroffen . “
Das war eine Neuigkeit! „Oh, verstehe ... Wollen Sie mir sagen, was in diesem Brief steht?“
„Ich habe ihn noch nicht geöffnet, ich habe Angst ...“ Wieder eine Pause. „Kommissar Nettgen ...“
„Ja?“
„... ich würde mir wünschen, dass S ie dabei sind . “
Nettgen überlegte kurz und sagte dann: „In Ordnung, Frau Crampton, kein Problem. Ich werde morgen früh zu Ihnen kommen, wenn das in Ordnung ist . “
„Sicher, danke, vielen Dank! Kommen Sie, wann es geht. Ich bin auf jeden Fall daheim. Haben S ie vielen Dank und entschuldigen S ie bitte nochmals die späte Störung.“ Die Erleichterung war Frau Cramptons Stimme anzuhören.
„Wirklich, kein Problem, das ist mein Job und vielleicht hilft uns der Brief ja weiter. Versuchen S ie jetzt, ein wenig zur Ruhe zu kommen. Morgen sehen wir weiter. Gute Nacht, Frau Crampton . “
„Bis morgen, Kommissar Nettgen, gute Nacht.“ Ein Klicken in der Leitung zeigte an, dass sie den Hörer aufgelegt hatte.
Nettgen starrte noch eine Weile den Hörer an. Er musste sich eingestehen, dass ihn diese Frau schon ziemlich beeindruckt hatte.
Einen kurzen Moment schwankte er zwischen seinen Wünschen und der Realität. Der Gedanke an ein gemütliches Essen und ein außergewöhnliches Gespräch mit dieser sympathischen Frau schien äußerst verlockend. Sie hatte etwas, das ihn anzog.
Schon das zweite Mal an diesem Tag weckte ihn der Duft von frischem Kaffee aus seinen Grübeleien. Er ging in die Küche, schenkte sich eine Tasse ein und wanderte ein wenig durch die Wohnung.
Er wünschte, er hätte eine Lösung für die ganzen Rätsel, um Frau Crampton morgen früh mit einigen Fakten beeindrucken zu können. Aber sein Kopf war einfach zu schwer.
Nettgen ging ins Bad und warf einen prüfenden Blick in den Spiegel. Dann wusch er sich kurz durchs Gesicht, zog sich bis auf die Unterhose aus und ging ins Schlafzimmer. Trotz seiner Müdigkeit wälzte er sich lange in seinen Bettlaken hin und her, bevor er endlich einschlief.
* * *
In derselben Nacht spielte sich zur gleichen Zeit in einem unheimlichen Gewölbekeller eine eigenartige, zutiefst grauenhafte Szene ab.
Es war stockdunkel in dem muffigen, nasskalten Raum. Kein Geräusch drang durch die dicken Steinmauern. An diesem Ort hätte niemand ein lebendes Wesen vermutet, und doch konnte man bei genauem Hinhören schwache Atemgeräusche wahrnehmen.
Langsam mischte sich noch ein anderer Laut in die Stille. Ein Rascheln und Kratzen, als ob sich etwas auf dem Boden räkelte, verstärkte sich und wurde schließlich von einem Stöhnen begleitet.
Das Räkeln wurde schneller, das Stöhnen intensiver, als ob sich jemand in Panik eines ausweglosen Zustandes bewusst würde. Ein unterdrückter Hilfeschrei verhallte im Nichts, panisch ausgestoßene Atemzüge.
In der Mitte des Raumes kauerte ein Mann, dessen Hände auf dem Rücken gefesselt waren. Sein Mund war mit einem Tuch geknebelt.
Ruhig blieb er eine Weile sitzen, überlegte, wo er war und wie er hier hingekommen war. Er versuchte, sich zu erinnern.
Seine Bekleidung war bis auf die Haut durchnässt. Er war erschöpft und sein Hinterkopf schmerzte.
War er überfallen worden? Was wollte man von ihm?
Ihn überkam Panik. Mit wilden Hin- und Herbewegungen versuchte er, sich von seinen Fesseln loszureißen. Er schüttelte wild den Kopf, in der Hoffnung, den Knebel abzuschütteln. Seine Mühe war vergebens. Für einen Moment hoffte er, dass alles nur ein Albtraum sei, aber die Schmerzen in seinen Gliedern machten diese Hoffnung zunichte.
Bloß die Ruhe bewahren! Der Mann versuchte, sich zu orientieren. Er konnte nichts sehen, aber seine Augen schienen nicht verbunden zu sein. Außer seinem Herzschlag konnte er kein Geräusch vernehmen.
Plötzlich bewegte sich irgendetwas in der Dunkelheit und er meinte, einen Schatten wahrzunehmen. Sein Herz begann zu rasen, schneller und immer schneller, als würde es jeden Moment explodieren.
So schnell der Schatten erschienen war, so rasant war er auch wieder verschwunden. Die Schwärze im Raum schien intensiver geworden zu sein.
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