Das Wiegen der Seele (German Edition)
Die Polizei dreht sich im Kreis und kommt keinen Zentimeter voran. Der Mörder kann aus Hamburg kommen, aus Paris oder meinetwegen aus Schlumpfhausen . Er hat ein Foto von seinem Opfer, das er sich einprägt und schon in die Tonne wirft, bevor er hier in dieser Gegend eintrudelt. Er tötet Crampton, fährt zum Flughafen zurück, steigt in eine Maschine und ist weg. Und wie war doch gleich deine These mit dem kühlen Killer?“
Nettgen runzelte die Stirn. „Ich meine damit, dass dieser schwer zu fassen ist, da er sich perfekt verbirgt. Ich glaube, er kannte Crampton sogar und lockte ihn in die Fabrik. Und ich wette meinen Dienstausweis darauf, dass er es ganz undramatisch machte.“
„Undramatisch?“ , fragte Löffler.
„Ja. Er lockte Crampton nicht mit Dein Opa ist gestorben oder Ich weiß etwas, was dich interessieren wird . Ganz einfach mit Wir müssen dringend reden oder so. Halt eben kühl.“
„Was glaubst du, hat dieser Typ einen Familienhintergrund?“
„Klar“ , schnellte Nettgen los. „Er wird verheiratet sein, jedoch nicht im klassischen Sinn als Familienoberhaupt. Das wird ihn weniger interessieren, dafür aber Geld.“
„Gut, also sind wir wieder beim Thema Geld angelangt. Denkst du, er hat Vorstrafen?“
„Vermutlich hat er die Erfahrung gemacht, dass man gegen das Gesetz verstoßen kann, ohne bestraft zu werden. Ich meine damit Steuerhinterziehung oder so etwas in der Richtung. Vielleicht auch schon ein Mord.“
„Und wie ist das mit dem Rächertyp?“
Nettgen richtete sich auf. „Er ist jemand, der gottgleich richtet und absolut nicht fragt, ob er sich irren könnte oder ob er überhaupt ein Recht zu einem solchen Schritt hat. Er betrachtet sich vermutlich als Sendbote, der das Böse hinrichtet oder hinrichten muss. Auch er verbirgt sich, wenngleich wahrscheinlich niemand auf die Idee kommen würde, dass er der Täter ist. Ebenfalls wird er verheiratet sein, ich schätze sehr konservativ, sehr strikt und ein Macho.“
Löffler schwieg eine Weile und sammelte sich.
„Woher weißt du das alles?“
„Wohl noch eine Menge Stoff aus meiner Anwärterzeit hängen geblieben“ , lachte Nettgen und strich sich sanft über das Haar.
„Du Proll“, griente Löffler. „Jedenfalls besteht eine Verbindung zwischen dem Mord und den Zeichen am Tatort. Wäre sonst wohl eher ein kurioser Zufall. Was glaubst du, folgen noch mehr Morde? Ich meine, wird er weitermachen?“
„Ich hoffe nicht, aber sollte es sich um einen Rächertyp handeln, können wir nur hoffen, dass es zu keinem Massaker wird. Jederzeit kann dieser Täter in eine offenliegende Psychose gleiten. Mit anderen Worten ... total durchknallen!“
„Shit!“ Löffler stieß einen tiefen Seufzer aus. „Lass uns für heute Schluss machen. Es ist schon spät und morgen ist ein neuer Tag. Ehrlich gesagt habe ich für heute die Schnauze gestrichen voll . “
„Hast recht“, murmelte Nettgen deprimiert, während er den Kaffee schlürfte und sich beinahe die Zunge verbrannte. „Sch ... , hm..., der Kaffee ist lecker. – Komm, machen wir Feierabend. Deine Familie wird e s dir danken und ich hab auch keine Lust mehr . “
Gemeinsam verließen sie die Dienststelle und machten sich auf den Heimweg.
Daheim angekommen wurde Nettgen von Minute zu Minute lethargischer. Er war einfach fertig und ließ sich nur noch aufs Sofa fallen. Er starrte die karge Wand an und versuchte, zur Ruhe zu kommen. Draußen strömte inzwischen der Regen und er hörte das laute Ticken des Weckers in der Stille. Die ersehnte Ruhe wollte sich jedoch nicht einstellen, also erhob er sich, ging in die Küche und befüllte seine Kaffeemachine . Während Nettgen auf den Ka f fee w artete , starrte er zum Fenster hinaus. In diesem Augenblick klingelte das Diensthandy. Einen kurzen Augenblick erwog er, es einfach zu ignorieren und den Anrufer auflaufen zu lassen. Aber plötzlich hatte er die Eingebung, dass es ja auch etwas Wichtiges sein könnte. Der Diensteifer überwog mal wieder. Also rannte er ins Schlafzimmer, griff in die Sakkotasche und meldete sich mit atemloser Stimme: „ Nettgen! Hallo?“
„Hallo, Kommissar Nettgen“, erklang eine unsichere, leise Stimme. „Maria Crampton. Entschuldigen S ie die späte Störung ...“
„Guten Abend Frau Crampton!“ Nettgens Müdigkeit war schlagartig wie weggefegt. „Kein Problem, ich bin immer lange wach. Was kann ich für S ie tun ? “ Seine Stimmlage war direkt um eine Oktave geklettert und Löffler
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