Das Wiegen der Seele (German Edition)
Straßenecke von seinem Wagen entfernt überkam ihn wieder das Gefühl, beobachtet zu werden. Abrupt blieb Nettgen stehen. Unbehaglich drehte er sich in alle Richtungen und bemerkte, dass die zwei Unbekannten von vorhin nur unweit hinter ihm die Straße entlanggingen. Er schaute die beiden an, die unbeeindruckt ihren Weg fortsetzten. Auch Nettgen drehte sich wieder um und ging weiter. In seinem Kopf hämmerten die Fragen: Wer waren die beiden Männer, was wollten sie von ihm? Sein Schritt wurde schneller, sein Herz auch. Adrenalin strömte durch seine Adern. Er fühlte seinen Pulsschlag. Er wartete noch bis zur Kreuzung, an der er rechts abbiegen musste und setzte dahinter zu einem Spurt an. Zu seinem Wagen waren es nur noch wenige Meter. Sie kamen ihm vor wie eine Ewigkeit. Fast wäre Nettgen über seine Füße gestolpert, so schnell war er unterwegs. Während er rannte, blickte er zurück und stellte mit Entsetzen fest, dass die beiden Männer ihn verfolgten. Es war also doch keine Halluzination gewesen. Die beiden waren bereits dicht hinter ihm. Mit einem Griff in die Hosentasche zog er den Wagenschlüssel heraus. Er zitterte, als er den Schlüssel ins Türschloss stecken wollte, und rutschte immer wieder ab. In diesem Moment verfluchte er sein altes Auto und wünschte sich einen modernen Wagen mit Fernbedienung für das Türschloss. Endlich rastete der Schlüssel ein und Nettgen sprang in den Wagen. Während er mit quietschenden Reifen aus der Parklücke fuhr, blickte er in den Rückspiegel und sah, wie die Unbekannten ihre Verfolgung abbrachen und ihm den Rücken zukehrten.
Mit Schweißperlen auf der Stirn erreichte Nettgen sein Büro, öffnete diese ganz leise und stierte durch den Türschlitz. Löffler legte in diesem Moment eine Hand auf seinen knochigen Brustkorb und kippte Nettgens Bürostuhl nach hinten. Er hob eine Tasse frischgebrühten Kaffee an die Lippen und schlürfte. – Löfflers dritte Tasse an diesem Tag. Als er aus dem Fenster blickte, stieg ihm das bittere Aroma in seine Boxernase. Er schmiegte seine kurzen Gliedmassen stärker in den Stuhl und wippte. Wenn man ignorierte, dass irgendwo außerhalb der Polizeidienststelle ein Psychopath frei herumlief, war das Leben doch schön. Im selben Moment zerstörte ein Knall die Stille und das Wohlergehen von Dietmar Löffler. Nettgen wartete diesen Augenblick ab, kam zur Tür herein und schloss nicht gerade sanft die Bürotür. Löffler erschreckte sich so sehr, dass er mit dem Stuhl nach vorne wippte und sich den Kaffee über sein Oberhemd kippte.
„Shit, verdammt! Mensch Ralf!“, motzte er.
„Ach Dietmar“ , meinte Nettgen gelassen. „Das üben wir noch mit dem Trinken.“ Ein schelmisches Grinsen konnte er sich nicht verkneifen. Dafür nahm er auch gern die eingeschnappten Blicke Löfflers in Kauf. Nettgen beobachtete ihn, wie er mit einem benutzten Stofftaschentuch vergeblich versuchte, den Fleck aus dem Hemd zu reiben.
„Ich warte schon auf dich“, meinte der Kommissar vorwurfsvoll. Dann musterte er Nettgen und fragte besorgt: „Alles in Ordnung mit dir? Du siehst ja ganz fertig aus. Ist was passiert?“
Nettgen erwiderte: „Das wirst du nicht glauben. Ich war gerade noch am Kiosk und wollte Zigaretten holen. Auf einmal hatte ich das Gefühl, beobachtet zu werden und tatsächlich ... auf dem Rückweg zum Auto haben mich zwei Unbekannte verfolgt. Zuerst wusste ich nicht, ob ich spinne, aber als ich anfing zu rennen, sind die beiden hinter mir her. Erst als ich im Auto war und losgefahren bin, drehten sie ab. – Wartest du schon lange?“
„Na ja, vielleicht zwanzig Minuten. Kaffee läuft! Was waren das für Typen, die dich verfolgt haben?“, wollte Löffler wissen. „Hast du sie erkannt? Was wollten die? Sollen wir mal eine interne Fahndung einleiten?“
„Keine Ahnung wer die waren und was die von mir wollten. Ich hab die Typen noch nie vorher gesehen. Kann sie auch nicht wirklich beschreiben, da hätte eine Fahndung wohl nicht so viel Erfolg. Vielleicht waren es nur die Kumpels von jemandem, den ich in der letzten Zeit in den Knast gebracht hab und die mir Angst einjagen wollten. In dem Fall muss ich sagen: Das haben sie geschafft. Aber mehr kann es nicht gewesen sein, sonst hätten sie nicht so schnell aufgegeben. Wenn die gewollt hätten, hätten sie mich gekriegt. Kann also nicht so wichtig gewesen sein . “ Nettgen hockte sich vor den Rollwagen seines Schreibtisches und öffnete das zweite Schubfach von oben. Er
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